Brennpunkt Hauptbahnhof Bremen: Anrainer engagieren sich

Bremen – Kriminalität, Bettelei, Drogen – die Situation am Bremer Hauptbahnhof hat sich dramatisch verschlechtert, Pendler erleben es Tag für Tag. Anrainer haben sich im Verein „Attraktiver Bremer Bahnhof“ verbunden, um den Senat zu „umgehenden sozialen und rechtlichen Schritten“ zu bewegen, damit die Lage sich bessert.
Vorsitzender ist der Hotelier Fritz Rößler, Geschäftsführer Dr. Hartmut Roder, lange Zeit Leiter der Abteilung Handelskunde im Übersee-Museum. Im Interview sprechen beide über Lage und Perspektiven am Bremer Hauptbahnhof.
Was hat zur Gründung Ihres Vereins geführt und wer ist mit dabei?
Rößler: Aus dem Kreis der Interessengemeinschaft Sicherheitspartnerschaften Bahnhofsumfeld wurden wir vom Senator für Inneres gebeten, einen Verein zu gründen, der die Interessen der Anwohner gebündelt wahrnehmen kann. Darauf wurde dann im Frühjahr 2019 der Verein gegründet. Im Moment hat er 32 stimmberechtigte Mitglieder. Zum großen Teil sind dies Immobilieneigentümer. Durch die Corona-Pandemie wurden wir sehr früh in unseren Aktivitäten gehemmt. Nun wollen wir einen neuen Anlauf nehmen und streben einen Mitgliederbestand von circa 120 an.
Wie sehen Sie die Lage vor dem Hauptbahnhof?
Roder: Alkoholmissbrauch, Drogenkonsum, Obdachlosigkeit, Bettelei, wahlloses Urinieren, Hinterlassen von Müll und Fäkalien, Belästigungen und aggressive Beschimpfungen oder Körperverletzungen häufen sich und sind im Bahnhof und um ihn herum an der Tagesordnung. Viele Bürger fühlen sich bedroht, Kunden meiden den Platz und Bremen-Besucher hasten schnell durch diesen unwirtlichen und unangenehmen Ort hindurch. Vor allem auch Gäste der anliegenden Hotels und Restaurants werden häufig aggressiv belästigt und klagen über dieses unangenehme Betteln, das ihnen nicht selten den Aufenthalt oder das mittägliche oder abendliche Essen verleidet. Seit einigen Jahren und nicht nur pandemiebedingt hat sich die Lage noch verschärft. Müll mit entsprechendem Vorkommen von Ungeziefer, blutverschmierte Spritzen wie auch Fäkalien sind morgens häufig Hinterlassenschaften der vorangegangenen Nacht, die erst einmal beseitigt werden müssen, um einen sicheren Zugang zu den Geschäften und Durchgang zu ermöglichen.
Wie wirkt sich das auf die Anrainer aus; wie reagieren – nach Ihrer Erfahrung – Passanten und Pendler?
Rößler: Die gewerbetreibenden Anrainer sind zunehmend verärgert und fühlen sich belästigt. Arbeitnehmer wie zum Beispiel Bus- oder Straßenbahnfahrer werden aggressiv angesprochen oder angebettelt und bemühen sich, den Fahrerwechsel an einer anderen Haltestelle vorzunehmen. Passanten müssen teilweise einen unsicheren Slalomlauf von der Haltestelle oder der Innenstadt zum Bahnhof absolvieren, weil sie mehrfach durch im Wege sitzende oder stehende Personen (meist männlichen Geschlechts) aufgefordert oder „angemacht“ werden. Die Bänke an den Haltestellen, um den Rasenplatz und auch bei einigen Kiosken mit Alkoholverkauf sind oftmals von Obdachlosen, Drogenabhängigen oder sich dauerhaft auf der Straße aufhaltenden Männern belegt. Um diese herum liegen nicht selten Plastiktüten mit deren Habe und leere Flaschen. Für die täglich zigtausend Pendler gilt dasselbe wie für Bremen-Besucher, die mit dem Zug kommen: bloß möglichst schnell diesen unwirtlichen und gefühlt unsicheren Ort verlassen. Von Flanieren im und um den Bahnhof wird meist Abstand genommen.

Handelt es sich um spezifisch bremische Probleme?
Roder: Nein, es handelt sich zweifellos nicht um ein spezifisch bremisches Problem. In allen großen deutschen Bahnhöfen herrschen ähnliche Verhältnisse. Recherchen unseres Vereins haben ergeben, dass gerade die Bahnhöfe München, Frankfurt, Köln oder Nürnberg diese belastende eskalierende Lage der letzten Jahre jetzt zum Anlass nehmen, die jeweiligen städtischen Ämter wie auch die Stadtpolitik um rechtliche, ordnungspolitische und soziale Maßnahmen zu bitten, um diese zentralen Knotenpunkte städtischen Gemeinwesens abzurüsten, sicherer zu machen und zu befrieden.
Die Probleme vor dem Bahnhof werden sich nur gemeinsam lösen lassen. . .
Rößler: Wir möchten Teil einer gemeinsamen konzertierten Aktion sein von Deutscher Bahn, Bremer Straßenbahn AG, Bahnhofsmission, Innerer Mission, Polizei, Sozialarbeit. Dabei liegt uns sehr daran, dass sowohl Obdachlosen Angebote zum Leben und Nächtigen gemacht werden (mit Hund, mit abschließbaren Schließfächern, aber ohne Alkoholkonsum) – als auch entsprechende Räume rund um die Uhr und Therapien für Drogensüchtige angeboten werden, damit deren alltäglicher Beschaffungsdruck abnimmt.
Was sollte zuerst getan werden?
Roder: Als Erstes sollte im Rahmen des Projektes „Mehr Sicherheit und Sauberkeit am Hauptbahnhof“ eine Koordinierungsstelle aller obigen Stakeholder installiert werden, die die einzelnen Schritte und Maßnahmen begleitet und evaluiert. Das vom Innensenator vorgelegte Ortsgesetz, das ordnungspolitische Handhaben gibt, sollte nicht weiter verwässert werden und in eine erste Umsetzungsphase kommen. Ein notwendiges Alkoholverbot sollte für den Bahnhofsraum erlassen werden, das Restaurants und Imbisse ausdrücklich ausnimmt. Auch ist für eine erhöhte Sauberkeit zu sorgen, damit Bremens Eingangstor in die Stadt einen angenehmen und hoffentlich auch von der Möblierung grüneren Eindruck zur Begrüßung macht und eine ganz andere Magnetwirkung auf Passanten und Bremen-Besucher ausübt. Sowohl der Rasenplatz vor dem Übersee-Museum als auch der Bahnhofsvorplatz selbst und der Hillmannplatz können Orte attraktiver Veranstaltungen in Kultur, Sport, Spiel und Vergnügen sein, wie es gerade das Spiegelzelttheater bewiesen hat.