Zupfen, Quetschen, Kratzen: Dermatillomanie geht mit einem wiederholten zwanghaften Bearbeiten der eigenen Haut einher. Auslöser können Zustände wie Anspannung, Angst oder Langeweile oder das Wahrnehmen etwa von Hautunebenheiten sein.
Die Betroffenen bearbeiten ihre Haut mehrmals täglich mit den Fingernägeln und Gegenständen. Das kann zu schweren Hautschäden, Narben und Infektionen führen.
„Schon als Kind habe ich meine Fingerkuppen und Füße so lange bearbeitet, bis sie wund waren“, sagt die 26-Jährige aus Essen über Dermatillomanie. So stark, dass sie blutet und Schmerzen hat.
Im Zuge der Pubertät bekommt Laura starke Hautunreinheiten und das Skin Picking verlagert sich auf ihr Gesicht. Der Weg zum Vergrößerungsspiegel gehört zu ihrem Alltag. „Eine halbe Stunde am Tag habe ich mich mindestens damit beschäftigt, Pickel zu entfernen. Eine Art Ritual“, erklärt sie. Danach sei die Haut gerötet und angeschwollen.
Pickel und Hautunreinheiten sind lästig. Mit natürlichen Mitteln* lassen sie sich jedoch bekämpfen.
„Ich sehe dann aus wie ein Streuselkuchen und schäme mich dafür“, sagt die 26-Jährige. Mittlerweile empfindet Laura Make-Up als Last, „doch manchmal geht es nicht anders“, sagt sie.
Das Verhalten ist für das Krankheitsbild typisch, es dient der Emotionsregulation. Kurzfristig führt Skin-Picking zu Erleichterung, langfristig aber zu Scham, Schuldgefühlen, depressiven Symptomen und Kontrollverlust.
Aktuell arbeitet Laura in einem Fitnessstudio, ihre Fingerkuppen sind wund. Sie vermutet, dass es am Stress liegt. „Ich werde ständig auf meine wunde Haut angesprochen. Ich gehe offen damit um und sage, dass ich mich selbst verletze.“
„Doch das ständige Nachfragen stört mich, auch wenn es nett gemeint ist“, erklärt die 26-Jährige. „Das belastet mich und führt dazu, dass ich mich schäme und abkapsele. Ich versuche dann immer, heimlich zu knibbeln, weil ich mich von den Mitgliedern beobachtet fühle.“
Nach vielen Jahren weiß Laura, warum sie sich selbst verletzt. „Ich bin ein unglaublich nervöser Mensch. Skin Picking ist für mich ein Ventil, um Stress abzubauen.“ In einer Psychotherapie hat sie sich dem Problem gestellt. „Ich habe herausgefunden, dass es sich bei meiner Angewohnheit um eine ernstzunehmende psychische Erkrankung handelt“, erinnert sich Laura.
Einerseits habe sie die Information erleichtert, „andererseits war es auch wie ein Stempel: Psychisch gestört.“ Neben der Therapie helfen ihr Hobbys wie Kraftsport, Malen oder Yoga. „Da vergesse ich alles um mich herum. Wie, wenn ich vor dem Spiegel hocke.“
Laura wirkt reflektiert, kennt ihre persönlichen Probleme und kann sie einordnen: „Ich funktioniere über Komplimente. Kritik ist schmerzhaft für mich. Dann fange ich an zu knibbeln“, sagt die 26-Jährige.
Wie schwer es für Menschen mit Dermatillomanie ist, dem Drang zu widerstehen, können sich Außenstehende kaum vorstellen. „Es ist einfach zu sagen: Hör auf zu knibbeln oder auf die Finger zu hauen. Doch das ist es nicht“, sagt Laura. Der Druck werde für sie dadurch größer.
Sie gefährden das leibliche Wohl vieler Patienten: Die sogenannten Volkskrankheiten. Wir verraten, wie häufig sie vorkommen* und welche Therapien es gibt.
Es besteht ein Muss. Mit nötiger Stärke. Denn auch wenn der Pickel raus ist, wird weiter gemacht.
Wenn der Drang so groß ist, dass es keine Option gibt, dagegen zu handeln: „Das ist das Wesen des Zwanges“, erklärt Helmut Faure. Er ist Diplompsychologe und psychologischer Psychotherapeut. Auf Zwangserkrankungen, zu denen auch Skin Picking gehört, ist er spezialisiert. Laura war eine seiner Patientinnen.
Der Unterschied zwischen einer Person, die sich ab und an einen Pickel ausdrücke und Betroffenen von Dermatillomanie liege darin, dass sich diese verpflichtet fühlen, es zu tun. „Es besteht ein Muss. Mit nötiger Stärke. Denn auch wenn der Pickel raus ist, wird weiter gemacht.“
Fast alle Teile des Körpers können Ziel des Skin Pickings sein. „Oft wird das Gesicht zur Zielscheibe“, sagt Faure. Hautunreinheiten müssen dann entfernt werden. Doch auch besonders sensible Körperbereiche können betroffen sein. „Der Zwang kann extrem selbstverletzend sein. Manche Betroffene bearbeiten sogar den Intim-Bereich oder die Brüste.“ Skin Picking führt meist zu deutlichen Rötungen und Wunden. Auch ein geringes Selbstwertgefühl gehe in den meisten Fällen mit der Erkrankung einher.
Die Objekte des Zwanges sind Mitesser, lockere Stellen an der Haut, kleine Verdickungen oder Blasen. „Alle Veränderungen am Körper, die über die Glätte der Haut hinausgehen. All das, was das vermeintliche Idealbild eines reinen Körpers stört.“
Der Diplom-Psychologe weiß: Patienten fürchten sich davor, mit den Hautveränderungen negativ aufzufallen. Ihre Angst sei gleichzeitig die treibende Kraft. Manchmal sei laut Faure das Motiv auch bewusste Selbstverletzung. „Weil eine Person glaubt, ein schlechter Mensch zu sein.“ * kreiszeitung.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.