Endometriose: „Die Krankheit hat mir das Leben versaut“
Als Susanne Giese zehn Jahre alt ist, hat sie große Ziele und Träume, will Innenarchitektin werden. Dann bekommt sie ihre erste Periode. Ab diesem Zeitpunkt ändert sich alles.
Mühlheim – Susanne Giese aus Mülheim an der Ruhr hat aufgrund von Endometriose einen jahrelangen Leidensweg hinter sich. „Ich habe mein Leben lang unter der Krankheit gelitten. Sie hat mein Leben versaut“, sagt die 56-Jährige.
Die Schmerzen sind unerträglich. So extrem, dass sie dem Unterricht nicht folgen kann. „Schmerzmittel habe ich nie verschrieben bekommen. Mir wurde unterstellt, ich hätte nur keine Lust auf Schule“, erinnert sie sich. Ihre Periode ist so stark, dass sie regelmäßig ihre Kleidung durchblutet.
- „Chamäleon der Gynäkologie“: Endometriose Symptome und Definition
- Endometriose ist eine chronische Erkrankung und nicht heilbar, grundsätzlich aber nicht tödlich. Zellen, die der Gebärmutterschleimhaut ähnlich sind, siedeln sich an Organen im Unterleib an. Das Gewebe verursacht starke Schmerzen, in schlimmeren Fällen kann es tief in die Organe einwachsen.
- Mit der Krankheit sind oft starke Blutungen, Schmerzen beim Toilettengang, bei der Verdauung und beim Geschlechtsverkehr verbunden. Sie können während der Periode auftreten, aber auch täglich.
- Endometriose kann nur durch eine Bauchspiegelung diagnostiziert werden und bleibt deshalb oft unerkannt. Darüber hinaus ist die Krankheit nur wenig erforscht.
- Quelle: Endometriose Vereinigung Deutschland
Zu starke Schmerzen vor der Diagnose Endometriose: „Ich habe nur noch blau gemacht“
Von Ärztinnen und Ärzten wird sie nicht ernst genommen, von ihrer Familie und Lehrenden als Simulantin abgestempelt. In der heutigen Zeit bekommen Frauen mit der Diagnose Endometriose oft Höchstdosen an Schmerzmitteln, um ihren Alltag überhaupt bewältigen zu können. Oft sind sie nicht in der Lage, zur Schule zu gehen.
Den Begriff Endometriose nimmt damals noch niemand in den Mund. Sie muss auf eine Realschule wechseln, auch dort kommt sie nicht mit. „Ich habe nur noch blau gemacht, ich kam nicht mit den Schmerzen klar, wollte nur meine Ruhe.“ Mit 16 Jahren hat Susanne das erste Mal Sex. Doch auch dieser ist schmerzvoll. „Das Schönste im Leben war mir schon immer verwehrt: Ein Schulabschluss, Intimitäten, die Erfüllung von Lebensträumen“, sagt sie bedrückt im Interview mit kreiszeitung.de.

Schwangerschaft trotz Endometriose: Fehlgeburt nach tödlichem Motorradunfall des Freundes
Mit einem Abgangszeugnis verlässt sie die Schule und beginnt eine Ausbildung zur Frisörin. Doch durch die Schmerzen ist sie oft krankgeschrieben und wird gekündigt. Neuer Job, Kündigung. Neuer Job, Kündigung. Immer in der Schwebe zwischen Hilfsjobs und Arbeitslosengeld. „Sobald ich einen neuen Job hatte, war die Angst vor dem nächsten Monat sofort da.“
Ärztinnen und Ärzte raten ihr, früh ein Kind zu bekommen. Damals geht die Medizin davon aus, dass die Schmerzen nach der Geburt des ersten Kindes erträglicher sind. Als sie 25 ist, hat sie eine Fehlgeburt. Kurz nachdem ihr damaliger Freund einen Motorradunfall hat und in ihren Armen stirbt. „Meine Ärztin ging davon aus, dass es der Schock war. Ich vermute heute, dass es die Endometriose war“, glaubt Susanne.
Bis zur Schizophrenie wurde alles diagnostiziert. Mir wurde eingeredet, dass ich mir die starken Schmerzen nur einbilde.
Auch zu diesem Zeitpunkt hat sie das Wort Endometriose noch nie gehört. „Bis zur Schizophrenie wurde alles diagnostiziert. Mir wurde eingeredet, dass ich mir die starken Schmerzen nur einbilde.“ Susanne sucht immer wieder neue Arztpraxen auf, nirgends fühlt sie sich ernst genommen in ihrer Situation, die sich mit jedem Jahr verschlimmert.
Endometriose: Wenn es ein Leben lang nur um den Unterleib geht
Mit 29 Jahren heiratet sie. Der Kinderwunsch ist noch immer da. Doch ihr Mann steht nicht hinter dem Wunsch, sodass es zur Scheidung kommt. Mehr als vier Jahre geht das Verfahren. Weil sie nicht voll arbeitsfähig ist, ist ihr damaliger Mann zu Unterhaltszahlungen verpflichtet. „Ich habe das Urteil bekommen, dass ich mir die Gebärmutter entfernen lassen muss, damit ich voll arbeitsfähig bin. Ich war so verzweifelt. In meinem Leben ging es immer nur um meinen Unterleib.“
Sie wendet sich an einen Spezialisten. „Er wollte meine Gebärmutter nicht entfernen. Er entfernte das Gewebe und diagnostizierte Endo- und Adenomyose“, erklärt sie gegenüber „kreiszeitung.de“. Zu diesem Zeitpunkt ist Susanne 39 Jahre alt. Ihre Gebärmutter wird erhaltend operiert und sie ist wieder arbeitsfähig.
Nach erfolgreicher OP – „Statt des Kinderwunsches, wollte ich mir einen anderen erfüllen“
Scheidungsverfahren, OP, unerfüllter Kinderwunsch: „Gespräche mit einer Psychotherapeutin brachten mich dazu, mein Leben noch einmal zu überdenken. Sie gab mir den Tipp, nochmal etwas zu lernen.“ Das setzt Susanne in die Tat um: Sie macht eine staatlich anerkannte Ausbildung zur Familienpflegerin und schließt ein Fernstudium zur Diplom-Ernährungsberaterin ab. „Statt des Kinderwunsches, wollte ich mir einen anderen erfüllen.“

Erneuter Rückschlag: „Ich habe nur noch geblutet, die Schmerzen haben mich extrem erschöpft“
Mit 43 hat sie beide Ausbildungen abgeschlossen, doch zwei Jahre später folgt der nächste Rückschlag: „Ich habe nur noch geblutet, die Schmerzen haben mich extrem erschöpft.“ Es geht ihr so schlecht, dass sie erneut Operateure aufsucht. Dort heißt es: „Wenn wir die Gebärmutter entfernen, ist das Risiko hoch, dass sie danach mit einem künstlichen Darmausgang und einer Blasenplastik leben müssen.“ Für Susanne eine Botschaft, die sie nur schwer verkraftet.
Im Sommer 2019 kommt sie als Notfall in die Klinik, der Termin für die Operation steht. „Ich dachte mir: Nach diesem Leben kann das doch nicht das Ende sein. Rentnerin und ausgehöhlt wie ein Kürbis.“ Sie sucht noch im Krankenhaus nach Alternativen und wird fündig. „Wie durch ein Wunder bin ich auf die Uniklinik in Essen aufmerksam geworden.“
Uniklinik Essen: Operation bei Diagnose Endometriose mithilfe eines Roboters
Das Krankenhaus operiert bei der Diagnose Endometriose seit Jahren mit Unterstützung eines Roboters, in den meisten Fällen erfolgreich. „Ich habe direkt meinen Freund angerufen. Ich wollte da hin. Auch wenn ich auf dem Weg sterbe“, erinnert sie sich im Gespräch mit „kreiszeitung.de“. Von den Ärzten im Krankenhaus lässt sie sich nicht beirren. Sprüche wie „das System kann da auch nix machen“ und „ihre Gebärmutter steht ihnen bis zum Bauchnabel“ sind ihr in diesem Moment egal.
„Als ich ohne Blasenplastik und künstlichen Darmausgang wach geworden bin, sagte der Operateur zu mir, dass er noch nie so einen glücklichen Menschen gesehen hat“, erinnert sie sich zufrieden. „Ich wurde noch nie so ernst genommen, wie dort. Ich habe mich schon selbst nicht mehr ernst genommen“, sagt Susanne.
Endometriose: Eine Leben ohne Schmerzen und ohne Blutungen
Heute lebt sie ohne Schmerzen und ohne Blutungen. Sie setzt sich dafür ein, dass Endometriose enttabuisiert wird und mehr in das Bewusstsein der Gesellschaft rückt. „Für alle Frauen, die sich dafür schämen und nicht das Selbstbewusstsein haben, an die Öffentlichkeit zu gehen.“
Mit kontroversen und mutigen Kampagnen will sie ihre eigene Modelinie an den Markt bringen und auf die Krankheit aufmerksam machen. Dafür upcycelt sie weiße Männerhemden zu Kleidern. „Ich habe mein Leben lang nur schwarz getragen. Die Zeiten sind vorbei.“ Nach allem, was sie erlebt hat, kann sie ihr Leben nun ohne Schmerzen genießen. „Es war nie gut. Aber gut, dass es so war.“ * kreiszeitung.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.