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Schluss mit lustig

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Von: Jan-Paul Koopmann

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Belastend und intim: Boris Nikitin blickt auf Tabubrüche.
Belastend und intim: Boris Nikitin blickt auf Tabubrüche. © Donata Ettlin

Die Schwankhalle Bremen blickt beim Festival „Tausend Tode“ auf das Sterben.

Bremen – Zugegeben: Es gibt erbaulichere Themen als Tod und Sterben. Und tatsächlich ist das Publikum schon mal ausgelassener in die Schwankhalle Bremen getrudelt als zum „Tausend Tode“-Festival. Wobei das umgekehrt auch nicht nach schlechter Laune klingen soll, sondern eher nach einer schnittfesten Grundanspannung. Weil ja klar war, dass es hier erstens ums Ganze gehen würde – und einem das zweitens irgendwie auch auf die Pelle rücken dürfte.

Ganz besonders gilt das für Boris Nikitins Performance „Versuch über das Sterben“, auch wenn die an der Oberfläche erst mal ganz harmlos aussieht: Der Schweizer Autor und Performer sitzt auf einem Stuhl inmitten der sonst leeren Bühne und liest einen Text vor. Er erzählt darin vom Sterben seines Vaters vor sieben Jahren, von dessen Abwägen eines assistierten Suizids und davon, was das mit seinen Angehörigen gemacht hat. Nikitin verschneidet diese Gemengelage allerdings auch mit seinem eigenen Coming-out als schwuler Mann.

Weil beides offensichtlich ein Tabubruch ist: Homosexualität genauso wie der Wunsch, das eigene Leben zu beenden. Aber es geht noch um sehr viel mehr, nämlich um eine tatsächlich grundsätzliche Erschütterung tradierter Ordnung, um Propaganda, wie er sagt, und um Freiheit.

Die vermeintliche Normalität wird als Fiktion entlarvt

Dieses kluge Nachdenken über die Welt ist sehr intim, mitunter belastend, aber auch und gerade als Theater interessant, weil es sich und die eigenen Bedingungen permanent reflektiert. Schon früh nimmt Nikitin die vermeintliche Normalität als Fiktion auseinander, in der Menschen auswendig gelernte Behauptungen vortrügen. Sagt er, und liest seinen eigenen Text konsequent weiter vom Blatt. Er spricht über den Rückzug des Körpers, während der ihn umgebende Lichtkreis immer enger wird, was ihn nur umso deutlicher im wortwörtlichen Rampenlicht ausstellt. Er betont die Linearität der Nervenkrankheit seines Vaters und schiebt seinen Zettelstapel dabei so auseinander, dass man eine Ahnung bekommt, wie lang der Auftritt noch dauert. Und das Leben.

Kurz gesagt: Der „Versuch über das Sterben“ ist eine bemerkenswerte dichte Angelegenheit, die ausgehend von einer der frühesten Menschheitserfahrungen überhaupt den Bogen schlägt zur ideologischen Ordnung unserer gegenwärtigen Welt – die in kleinen Schwenks und subtilen Brüchen zwischen dem Ureigensten und der öffentlichen Welt vermittelt. All das, während eben jemand einfach so da sitzt und einen Text vorliest.

Die Schwankhalle hat mit ihrem „Tausend Tode“-Festival ihr Versprechen gehalten: Nämlich ein nach wie vor verdrängtes und tabuisiertes Themenfeld auf die Bühne zu holen. Ganz unabhängig vom Inhalt ist aber auch die formale Vielseitigkeit erstaunlich, weil Boris Nikitin ja nicht der einzige Act gewesen ist.

Tanz, Literatur und Performance

Als Opener hatte Hanna Steinmair in „6,5 Heldentode“ einen völlig anderen Blick (oder eben sechseinhalb) aufs Sterben geworfen und einige Heroen überzeichnet nachgespielt verrecken lassen. Ob jetzt William Wallace („Braveheart“) sich aufbäumend und stöhnend die Treppe herunter schiebt und für die Freiheit stirbt, oder Sokrates sich den Schierlingsbecher reinkippt und aufrecht stirbt: Es seien gerade diese Tode, die den männlichen Held so heldisch machten, und die jetzt dekonstruiert gehörten. Was übergroß und sperrig klingt, ist tatsächlich ausgesprochen kurzweilig, unterhaltsam und hier und da auch ein bisschen lehrreich. Schnaps gab es auch.

Es ging aber noch weiter: Mit David Weber-Krebs, der Tänzerin Sonia Si Ahmed und Partner Ezra Fieremans in „Der Tod des Iwan Iljitsch“ Biografie und Körperlichkeit verhandeln lässt, Text und Eckdaten in Tanz und kreatürliches Gebärden überführt. Und mit Autorin Francis Seecks, die ihr Buch „Recht auf Trauer“ (edition assemblage) vorstellte, um noch mal ganz handfest zu belegen, was der vermeintlich so allgemeingültige Tod in der Praxis dann doch mit Geld, Macht und gesellschaftlicher Stellung zu tun hat. Es geht um Bestattungen aus machtkritischer Perspektive und auch hier sehr persönliche Erfahrungen um den Tod des eigenen Vaters.

Etwas schade, dafür aber eine Chance fürs geneigte Publikum: dass die BKM Performance (mit dem lustig doppeldeutigen Titel) „Nach dem Ende“ aus dem Festivalwochenende ausgegliedert werden musste und mit ein paar Wochen Verspätung erst am 31. März Premiere feiert. Dann berichten die Bestatterinnen Malin Baßner und Sofie Ruffing aus ihrem Arbeitsalltag, der für ihre Kundschaft eben gerade das genaue Gegenteil von Alltag ist – und in dem viele Themenstränge des Festivals noch mal anekdotisch zusammenfinden dürften. Es verspricht jedenfalls einen runden Abschluss, auch für Menschen, die am Anfang gar nicht dabei waren.

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