Bremen - Von Ute Schalz-Laurenze. Hört man sich um, verbindet der Musikliebhaber normalerweise Georg Friedrich Händel mit seinem 1741 entstandenen „Messiah“.
Dabei ist nun gerade dieses Oratorium die große Ausnahme im Schaffen des Komponisten, der im dramatischen Oratorium seine ganz genuine Opernreform auf den Weg brachte. Nur im „Messiah“ verwendet Händel Textstellen aus dem Neuen Testament, darunter auch die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium. Während er in den großen Menschheitsdramen des Alten Testaments seine Kunst der dramatischen Komposition ausbreitet, ist der „Messiah“ neben seinen „Theaterelementen“ eher ein Werk der theologischen Reflexion, das jedoch nie für die Kirche, sondern als Konzert konzipiert war.
Die Reflexion aber ist aufgeladen mit einer solchen Fülle von Bildern, dass man gar nicht genug davon bekommen kann. Besonders, wenn ein charismatischer Könner wie der Schwede Olof Boman sich an die Wiedergabe wagt wie jetzt beim Philharmonischen Konzert. Boman – unvergessen sein „Orlando furioso“ von Vivaldi am Theater Bremen – zählt zu den Barockspezialisten, die ausgesprochen gerne an Stadttheatern und zusammen mit „normalen“ Philharmonikern arbeiten, weil „diese Musik nicht den Spezialisten allein überlassen werden darf“ (Boman). Dass die Bremer Philharmoniker sich in so kurzer Zeit (nur wenige Orchesterproben wie bei allen anderen Konzerten auch) in ein derart kompetentes Barockorchester – zusätzlich zwei Lauten, Orgel und Cembalo – verwandeln konnten, deutet auf eine unerhört effektive Probenarbeit, die in der Aufführung vertiefende Akzente durch die agile, energiegeladene und exakte Präsenz Bomans erhält.
Es ist immer ein Risiko, den „Messias“ ungekürzt spielen: zweieinhalb Stunden reine Spielzeit. Nicht jedoch hier: der schnelle Wechsel von Klangfarben, Rhythmen, Formen war außerordentlich kurzweilig. So die mysteriöse, abgedunkelte Streicherfarbe in der chromatisierenden Bass-Arie über die Dunkelheit, die scharfen Punktierungen als Bild für die Geißelung, die geradezu erschreckenden Pausen in der Schilderung der Passion, ein polterndes Orchester für das Bild des Wütens der Völker, die Klangfarben des Trostes und die Trompete der Auferstehung, der berühmte, alle Energien entladenen Halleluja-Chor, oder die mit Orchestermitteln gezeichnete Brutalität von Hohn, Spott und Gelächter im Tenor-Rezitativ „All they that see him“, das musikalisch nachgezeichnete immer größer werdende Auseinanderfallen der Herde in „All we like sheep“ und vieles mehr.
Boman und dem ebenso wie das Orchester fulminant musizierenden Norddeutschen Figuralchor (Leitung Jörg Straube) gelang mit seinen 21 Chorstücken ein großer kontemplativer und gleichzeitig dramatischer Bogen, der die Komposition genau dadurch aus der (Musik)Geschichte herausholt, indem sie diese in ihrer Rhetorik, ihren Klangfarben und ihren Fugen mit akribischer Präzision betont. Die etwas überzogen werbewirksame Ankündigung einer „Founding Hospital Version“ spielt dabei keine Rolle, Händel hat aus pragmatischen Gründen öfter mal die Sologesänge geändert. So gibt es in dieser Version aus dem Jahr 1750 zwei Soprane, die von Johanna Winkler und Anna Lucia Richter fast vibratolos mit überirdischer Schönheit und anspringenden Präsenz gesungen wurden. Auch die anderen Solisten – Bettina Ranch, Alt, Markus Staveland, Tenor und Dominik Köninger, Bass – ergänzten perfekt das von Boman visierte Gesamtbild.
Zu Recht nicht endenwollender Beifall für eine Aufführung, die alles Dogmatische hinter sich lässt zugunsten eines durch und durch glühenden Musizierens. Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein auf die zweite Arbeit Bomans am Theater Bremen: Händels Pasticchio-Oper „Oreste“, das am 24. Mai Premiere hat.