Mit Marx die Welt verstehen

Bremen - Von Rolf Stein. Dass sich die Welt auch heute noch mit Karl Marx befasst, der bekanntlich in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag gefeiert hätte – und sei es auch nur, um seine Ideen zu denunzieren - spricht gewiss für deren Relevanz. Allerdings nicht notwendig auch für deren Richtigkeit.
Mit einer Reihe von Veranstaltungen nähert sich derzeit die Schwankhalle dem bekanntlich bekennenden Nicht-Marxisten Marx an, den Auftakt machte Michael Rettig mit „Karl Marx ... die Verhältnisse zum Tanzen zwingen“ – ausgerechnet am Donnerstag, also an Fronleichnam. Was allerdings ein reiner Zufall sei, betont Rettig auf Nachfrage.
Rettig, der zuletzt an gleicher Stelle ein Stück über Rosa Luxemburg herausbrachte und vor einigen Jahren in „Faust 2. Kapital und Schulden“ Goethe mit Marx las, hat zentrale Thesen aus dessen Werk, vor allem aus dem „Kapital“, mit Blick darauf abgeklopft, ob sie dabei helfen können, die Gegenwart zu verstehen. Das klingt nach harter Seminararbeit, nach Text, nach Rede und Gegenrede, der Arbeit am Argument, übrigens im klassischen Doppelstundenformat.
Damit es nicht ganz so theoretisch daherkommt, hat Rettig neben dem Schauspieler Ralf Knapp vom Bremer Kriminaltheater noch den Komponisten Riccardo Castagnola, den Tänzer Miroslav Zydowicz und die Publizistin Ulrike Herrmann zur Zusammenarbeit gebeten, wobei letztere – ein gewinnbringender dramaturgischer Einfall – das Stück selbst im Stück kommentiert.
Philosophie ohne Stocken
Textlastig ist der Abend gleichwohl geworden. Wobei es schon allein eindrucksvoll ist, wie Knapp den Text, der eben zum großen Teil echter Marx ist, ohne Hänger präsentiert – angenehm laid back, aber durchaus eindringlich, mit der Souveränität eines Denkers, der oft genug recht hatte, um ohne Gesichtsverlust zugeben zu können, hier oder dort vielleicht ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen zu sein.
Die Bühnenrückseite wird derweil von Zydowicz bespielt, der allerdings nur als Schatten zu sehen ist – ein bisschen vielleicht wie in Platons Höhlengleichnis, in dem die Insassen der Höhle die Außenwelt vermittelt über die Schatten dessen sehen, was draußen passiert.
Und unter allem liegen die spannungsvoll knisternden Klangflächen von Castagnola, ab und zu von akustischen Querschlägern aufgewirbelt, wie ein Grundrauschen. Eher statisch als dialektisch – eine eigenständigere Rolle vor allem der Musik hätte dem „prozessierenden Widerspruch“, als den Marx das Kapital beschrieben hat, eher entsprochen.
Noch mehrere Abende sind geplant
Aber vielleicht ergibt sich im Gesamtklang der Veranstaltungsreihe so etwas wie eine dialektische Dynamik, wenn beispielsweise heute und morgen Bojan Djordjev unter dem Titel „The Discreet Charm of Marxism – a six course dinner piece“ zu einer „kulinarischen Lektüre“ einlädt und Kurzfilme von Phil Collins (nicht identisch mit einem bekannten Schlagzeuger) Dokumentarisches sowie Persönliches verschneiden.
In einer Gesprächsrunde unter dem Titel „Marx und ich“ diskutieren zudem Joachim Barloschky, Adelheid Biesecker, Michael Rettig, Ulli Jakob sowie Andrej Bill, und Ulrike Herrmann überprüft das „Kapital“ auf seine Aktualität.