Bremer Studierende erkunden Weißrusslands Hauptstadt Minsk

Bremen - Von Jan-paul Koopmann. Man kann gar nicht glauben, dass die wirklich zusammen in Minsk gewesen sind. Eigentlich scheinen die Fotos der Bremer Reisegruppe nicht einmal auf demselben Planeten entstanden zu sein, so vielfältig und widersprüchlich sind die künstlerischen Positionen – aber auch die abgebildeten Facetten des Lebens in und um die weißrussische Hauptstadt Minsk.
Gefahren ist das Master-Studio „Kultur und Identität“ der Bremer Hochschule für Künste im April vergangenen Jahres, zu sehen sind die dabei entstandenen Fotos nun in einer Ausstellung der Galerie Mitte, sowie in dem Bildband „Minsk – Photography and Investigations in Belarus“. Und so investigativ wie der Titel behauptet, haben die zehn Studierenden unter Leitung von Andrea Rauschenbusch und Peter Bialobrzeski auch tatsächlich gearbeitet.
Für die Serie „Campus Elysius“ hat Laura Achenbach Peral etwa eine Untergrundschule irgendwo am Rande von Minsk besucht. Präsident Alexander Lukaschenko hatte diese einzige auf Weißrussisch unterrichtende weiterführende Schule der Stadt 2003 offiziell schließen lassen. Im Geheimen wird sie aber bis heute betrieben. Die eigene Kultur wolle man pflegen und zu freiem Denken anleiten, berichtet der Begleittext der Ausstellung. Alles weitere können die Bilder nur andeuten. Und die zeigen zunächst alte Möbel mit zerkratztem Lack, wirklich nur fast schon wieder angesagte Tapeten, einen Heizkörper für die Steckdose und Schulbänke voller Blöcke, Stifte und Bücher. Dass keine Schüler oder Lehrkräfte im Bild sind, soll sie schützen – es macht aber auch einen außerordentlich unheimlichen Eindruck, weil alle offenbar schlagartig gegangen sind, ohne ihr Zeug mitzunehmen. Man kann sie fast sehen, wie sie außerhalb der Bilder warten.
Diese Fotografien deuten oder werten kaum. Überhaupt ordnen sich Buch und Ausstellung keiner großen Erzählung unter, sondern bedienen bis ins Detail die verschiedenen Sichten auf Belarus als Oststaat, als Diktatur, als ehemaliges Modell für eine bessere Zukunft, oder einfach als menschlichen Lebensraum.

Am schwarzen Brett der geheimen Schule ist ein Emblem zu sehen, ein schwertschwingender Ritter mit Kreuz und Pferd auf rotem Grund, das auf Anhieb wie ein Fremdkörper wirkt. Es ist das Pahonia, ein altes Wappen, das man nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bis 1995 kurz reaktiviert hatte. Auch die im Zweiten Weltkrieg mit Nazideutschland kollaborierenden Nationalisten hatten dieses Symbol verwendet – in dieser Schule für freies Denken macht es misstrauisch.
Auf gänzlich anderen Wegen hat sich Maximiliane Scheller mit Minsk auseinandergesetzt: Die junge Fotografin hat sich selbst im Stadtbild platziert, wie ein Chamäleon inmitten des öffentlichen Lebens. Da steht sie mit abwesendem Blick in einer Telefonzelle, geistert dann wieder verloren in einem Einkaufszentrum zwischen Plakaten, Menschen und Kühltheken herum. Ihr hellbrauner Jumpsuit und die Baseballjacke scheinen sich nicht recht entscheiden zu können zwischen authentischer Ost-Klamotte und post-postmodernem Hipster-Chic: Es drängt sich der paradoxe Eindruck auf, die Künstlerin habe sich mit großem Geschick in eine Welt eingefügt, die ihrerseits undefiniert zwischen den Zeiten und Dingen zu pendeln scheint. Zu dieser Reihe „Me and the Others“ gehört auch eines der schönsten Bilder des gesamten Projektes: Da steht Maximiliane Scheller in einer anonymen Küche, mit zeitlosem, in die Jeans gesteckte, Oberteil und einer Kaffeetasse vor dem Gesicht. War sie eben noch als isoliertes Alien in Minsk unterwegs, hat sie nun offenbar einen Zugang gefunden. Die ältere Frau am Küchentisch scheint sie nicht zu bemerken und starrt nachdenklich über einen Plastikpott voller Marmelade hinweg ins Nichts. Die Küchentür steht leicht offen, weil eine H&M-Plastiktüte die Klinke nach unten zieht.
Diese unerwartete Nähe in beiden Arbeiten zieht sich durch das ganze Projekt. Aleksandra Weber durfte auf der Straße Porträts junger Minskerinnen machen, die ihr offensichtlich vertrauen – Christina Stohn wiederum dokumentiert entlang kleiner Heiligenschreine in Privatwohnungen das komplexe religiöse Gefüge Weißrusslands. Militarismus ist ein weiteres Thema, das Landleben und so weiter und so fort.
„Minsk“, dessen Titel den Namen der Hauptstadt auch auf Weißrussisch und Russisch in kyrillischen Buchstaben führt, fällt nicht nur als studentische Arbeit bemerkenswert kenntnisreich aus – die Schau verblüfft durch die ausgesprochen präzise entwickelten Bildsprachen. Es sind wunderbare Fotos, die dank echter Freude am Kitsch sogar noch unterhalten. Und selbst wenn unterm Strich so viele Fakten dabei herum kommen: Ausstellung und Buch sind so lehrreich, weil sie genau den Blick ermöglichen, den schlichte Fakten manchmal sogar eher verstellen.
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Ausstellung: bis 12. Mai, Galerie Mitte im Kubo; Katalog: „Minsk – Photography and Investigations in Belarus“, Master-Studio Kultur und Identität, 130 Seiten, 25 Euro.