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Nabelschau einer Familie

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Von: Rolf Stein

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Hinter einer Gaze-Wand geht es bei dieser Familie zur Sache.
Hinter einer Gaze-Wand geht es bei dieser Familie zur Sache. © Armin Smailovic

„Intervention!“ von Sven Regener und Leander Haußmann feiert Premiere im Thalia Theater Hamburg.

Hamburg – Intervention nennt man sozusagen eine therapeutische Spezialoperation in besonders schweren Fällen: Ist jemand aus einer Familie auf die schiefe Bahn geraten, könnte es helfen, wenn die ganze Familie sich zusammentut und der irrenden Seele ins Gewissen redet. Solch eine Maßnahme gab dem neuen Stück von Sven Regener, bekannt geworden durch Romane wie „Herr Lehmann“ und „Neue Vahr-Süd“, und Leander Haußmann, unter anderem Regisseur des Films „Sonnenallee“, seinen Titel. Es feierte nun Premiere am Thalia Theater in Hamburg.

Anlass dieser Intervention ist Jannis, Sohn geschiedener Eltern, die sich alles andere als grün sind. So wenig wie Grünkohl eigentlich grün ist. Weshalb er manchmal auch Braunkohl genannt wird. Das mag zwar nicht unbedingt etwas zur Sache tun, wird aber in „Intervention!“ en passant diskutiert. Grünkohl, sagt Katja, Stiefmutter von Jannis, sei „das asozialste aller Gemüse“. Aber Vater Markus weiß: Kein Grünkohl, kein Jannis.

Für die maximale therapeutische Wirkung eingeladen sind neben Markus leiblicher Mutter Silvie auch Markus’ Schwester Gudrun samt Mann Helge, Katjas Tochter Gwendolin und Gisela, die zwar nicht wirklich zur Familie gehört, aber trotzdem immer dabei ist. Und dann ist da auch noch ein alter Mann, den außer dem Publikum niemand zu sehen und zu hören scheint. Manchmal sagt er „Mensch Meier“ oder erzählt, wie das damals war.

Klassisches Wohnzimmersetting hinter Gaze-Wand

Dass diese Patchwork-Familie auch ganz ohne Jannis ihre Probleme miteinander hat, versteht sich – es würde sonst wohl kein Theaterstück daraus. Die alten Wunden werden aufgerissen, die Rechnungen von einst neu aufgemacht. Nur mit der Intervention selbst ist das so eine Sache, denn Jannis will und will einfach nicht auftauchen. Stattdessen wird probehalber der zufällig in die Runde geratene Bote Friedemann bearbeitet – und das, bis Blut fließt.

Haußmann hat das gemeinsam mit Regener verfasste Stück am Thalia-Theater in einem recht klassischen Wohnzimmer-Setting mit Küche hinter einer Gaze-Wand inszeniert. Mit einem hochkarätigen Ensemble, aus dem vor allem Iffland-Ring-Träger Jens Harzer und die vielfach ausgezeichnete Gabriela Maria Schmeide herausragen.

Iffland-Ring-Träger Jens Harzer ragt aus dem ausgezeichnenten Ensemble heraus.
Iffland-Ring-Träger Jens Harzer ragt aus dem ausgezeichnenten Ensemble heraus. © Armin Smailovic

Zwar droht der immerhin gut dreistündige Abend am Ende wie die Intervention, von der er erzählt, aus den Fugen zu geraten, hätte vielleicht der Rotstift an der einen oder anderen Stelle gut getan, aber bis dahin gibt es viel schnoddrige Sven-Regener-Lakonie mitsamt Anspielungen aus der Welt der Popkultur, klamaukigen Slapstick und nicht zuletzt tiefe Einblicke in die Dynamiken einer geradezu prototypisch dysfunktionalen Familie.

Und auch wenn der Familiengeist, der sich im Laufe des Abends als Vater von Markus und Gudrun erweist, schon früh mahnend sagt: „Wir wollen uns alle abregen und noch einmal von vorne anfangen“, geht der ganze Zauber wieder von vorne los. Aber auf ihn hört ja keiner. Er ist schließlich auch Teil dieser ganz normalen kaputten Familie und damit auch Teil des Problems.

Nächste Vorstellungen

Dienstag, 21. März, Donnerstag, 30. März, Sonnabend, 1. April, jeweils 20 Uhr, Thalia Theater, Hamburg

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