Flinnworks und Quartett Plus 1 zeigen „Kosa La Vita“ am Theater Bremen

Bremen - Von Rolf Stein. Die Geschichte klingt fast bizarr: Ausgerechnet von Mannheim aus sollen Dr. Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni im Jahr 2009 Massaker im Kongo angeordnet haben. Der eine als Präsident, der andere als Vize-Präsident der Hutu-Miliz FDLR. FDLR steht für Forces Démocratiques de Libération du Rwanda, zu Deutsch: Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas.
Ruanda – das steht für eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Geschichte: 1994 kulminierten die Auseinandersetzungen zwischen der damaligen Regierung Ruandas und der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) in einem Gemetzel, das bis zu einer Million Menschenleben kostete. Die Opfer waren vor allem Angehörige der Tutsi-Minderheit, die Täter waren Hutu.
Was oft als ethnischer Konflikt gedeutet wird, verdankt sich derweil zumindest zum Teil deutscher Kolonialpolitik. Schon vor mehr als hundert Jahren sortierte man im Kaiserreich Menschen rassistisch: Das vermeintliche Volk der Tutsi bezeichnete vor der Kolonialzeit die soziale, mit Viehzucht befasste Oberschicht, während die Ackerbauern Hutu genannt wurden.
Unter deutscher Herrschaft wurden diese sozialen Kategorien in rassische transformiert. So konnten später Hutu-Politiker die Vorherrschaft der Tutsi ein halbes Jahrhundert später als jene einer fremden Ethnie anprangern.
Ist ein deutsches Gericht befugt und imstande, über Ruanda zu urteilen?
Die Performancegruppe Flinn Works und das Quartett Plus 1 haben rund fünf Jahre lang recherchiert, um den Fall Murwanashyaka / Musoni aufzuarbeiten, der mit der ruandischen Tragödie unauflöslich verbunden ist, auf die Bühne zu bringen.
Die Form, die sie dafür gefunden haben ist so unbequem, wie es der Gegenstand erfordert, so sperrig wie die Sprache der Juristen, die in dem rund 80-minütigen dokumentarischen Musiktheater ausführlich zitiert wird. Es geht schließlich um eine Frage, die sich auch die am Verfahren Beteiligten stellen mussten: Ob nämlich ein deutsches Gericht befugt und imstande ist, über Verbrechen zu urteilen, die mehrere Tausend Kilometer entfernt stattgefunden haben.
Murwanashyaka drehte im Verfahren den Spieß zumindest rhetorisch um: Waren nicht Stauffenberg und die Geschwister Scholl nach geltendem Recht Verbrecher? Und: Ist etwa Paul Kagame, seit 18 Jahren Präsident von Ruanda, ein lupenreiner Demokrat?
Leichtfertige Positionierungen bietet „Kosa La Vita“ nicht
Auch indem „Kosa La Vita“ in einem Exkurs dem deutschen Terror in Ruanda eine Stimme, nämlich die von Hermann von Wissmann gibt, verweigert es sich leichtfertiger Positionierungen. Stattdessen arbeiten die Künstler zur herausfordernden Musik des Komponisten Matthias Schubert akribisch die Schwierigkeiten des Verfahrens heraus.
Katharina Pfänder (Violine), Lisa Stepf (Violoncello) und Kathrina Hülsmann (Viola) sind dabei in der Regie von Sophia Stepf szenisch allzeit präsent, ebenso wie Konradin Kunze, der in Bremen bereits als Regisseur tätig war, und Simon Zigah vom Bremer Schauspiel.
Erinnert fühlen mag man sich da an „Der Internationale Strafgerichtshof“, das Gintersdorfer/Klaßen vor rund sechs Jahren am Theater Bremen vorstellten. Allerdings ist „Kosa La Vita“ formal stringenter und in seiner Unerbittlichkeit eindrücklicher geraten. Bedauerlich, dass dieses wichtige Stück nur zweimal am Wochenende in Bremen zu sehen war.