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Zum Pop passt kein Bauch

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Von: Johannes Bruggaier

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Richtige Freunde: Bei den Glamour-Kameraden aus der Popwelt f´ühlt sich Stephan Braum richtig wohl.
Richtige Freunde: Bei den Glamour-Kameraden aus der Popwelt f´ühlt sich Stephan Braum richtig wohl. © Landsberg

Bremen - Von Johannes Bruggaier. Und plötzlich ist man 53. Hat sich mehr schlecht als recht durchs Leben geschlagen. Hat geheiratet, sich scheiden lassen, sich einen Bauch angefressen. Bald noch ein bisschen Rente, dann soll’s das auch schon gewesen sein: Ja, ist es denn wahr? So ganz ohne die großen Coups, die man sich in seiner Jugend noch in bunten Farben ausgemalt hatte? Die große Karriere, der Ruhm, die Frauen?

Stephan Braum ist ein Kind der Popindustrie, ihrer Bedürfnisse, ihrer Verheißungen und ihrer Erwartungen. Ein dicker Bauch passt nicht zu diesen Erwartungen, er muss weg. Kokain passt zu diesen Erwartungen, das kann her. Und weil Kokain beim Abnehmen hilft, stürzt sich Braum, Hauptfigur des neuesten Romans von Joachim Lottmann, in eine Drogendiät. Was ihm dabei widerfährt, war am Samstagabend erstmals auf der Bühne zu erleben: Regisseur Pedro Martins Beja hatte den Bestseller „Endlich Kokain“ für das Theater Bremen eingerichtet.

Braum (Matthieu Svetchine), dieser alternde Mann auf der Suche nach seinem verpassten Leben, sitzt in einer künstlichen Welt. Vorne trennt ihn eine Glaswand vom Publikum, hinten greifen auf einer Drehbühne (Bühne: Katharina Faltner) alle paar Minuten zwei Popsternchen in die Keyboardtasten und Gitarrensaiten (Musik: Jörg Follert und die Band „Zucker“). Und ständig wird aus allen Ecken und Winkeln gefilmt: Abnehmen als öffentliches Ereignis.

So berichtet Braum in die Kamera hinein vom ersten angenehmen Nebeneffekt seiner Kur. Er habe jetzt „richtige Freunde“, jauchzt er: weil ihm das Kokain die Hemmungen nimmt, diese ganzen kleinen Phobien, die dem Kleinbürger im Alltag so schwer auf der Seele lasten. Zu den Freunden zählt etwa der Maler Hölzl, ein dauerkoksender Künstlerfürst. In der jungen Xenia wartet auch bald schon die erste erotische Affäre auf ihn, ein Trip nach Paris bringt den nötigen Glamour ins Leben. Und weil er aller Hemmungen entledigt ist, kann er es jetzt so richtig krachen lassen: dem Arbeitgeber mal die Meinung sagen, diesem verknöcherten Intendanten des langweiligen ORF. Und mit Hölzl Partys feiern bis zum Abwinken.

Das alles passiert im Zusammenspiel mit drei poppigen Grazien in weißen Plastikgewändern und Perücken (Karin Enzler, Betty Freudenberg, Gabriele Möller-Lukasz). Es geschieht weniger in der szenischen Auseinandersetzung als in einer zweistündigen Kaskade von Textmaterial, ein Gebirge von geradezu jelinekschen Ausmaßen. Unterbrochen wird der Wörterschwall lediglich, sobald das Popduo auf der Drehbühne einen seiner psychedelischen Songs anstimmt. Dann wabert auch wüst der Nebel über die fahl beleuchtete Bühne, auf dass sich die Illusion eines Kokainrauschs einstellen möge.

Alles, was an Romanadaptionen nerven kann, findet in dieser Produktion seinen Niederschlag. Von der Umwandlung einer Prosaerzählung in Bühnengequassel über das mühsam chronologische Abstottern von Handlungsetappen bis zum Versuch, das Ganze dann durch Elektropop-Showeinlagen aufzulockern. Man stöhnt innerlich zu endlosen Monologen, die allein durch Augenrollen und Grimassenziehen szenische Wirkung suggerieren sollen, zuckt zusammen, wenn wieder Elektrolärm aus den Boxen kracht. Spätestens als der vom Kokainschock genesene Maler Hölzl minutenlang seine Kuscheltiere sortiert, meldet sich im Theaterbesucher der Fluchtinstinkt.

Nur einen Lichtblick gibt es in diesem Trauerspiel, und der heißt Matthieu Svetchine. So simpel die Erkenntnis auch ist, die seiner Figur zugrunde liegt – dass nämlich hinter allem menschlichen Streben nichts weiter als die Gier nach Ruhm, Sex und Allmacht steckt –, so gewitzt bringt er diese zur Geltung. Svetchines Jugend-Spätzünder Braum ist ein Mann, der sich nur allzu gerne selbst belügt. Dümmlich quasselnd, selbstgerecht und suchtanfällig: der perfekte Konsument des Popzeitalters.

Kommende Vorstellungen: am 30. April sowie am 11. und 28. Mai jeweils um 20 Uhr am Theater Bremen.

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