Inzidenz in Dänemark: Trotz hoher Corona-Infektionen „nie wieder Lockdown“

Die Inzidenz in Dänemark explodiert wieder. Dennoch steht laut der führenden Expertin im Land ein neuerlicher Lockdown im Winter 2021/22 nicht zur Debatte.
Kopenhagen – Ist nach knapp zwei Monaten die heile Welt schon wieder vorbei? Am 10. September 2021 ließ Dänemark alle Corona-Maßnahmen und -Regeln fallen. Grund hierfür war auch die überdurchschnittlich hohe Impfquote im Land, die zu den höchsten weltweit gehört.
Im Sommer war die Zahl der Corona-Neuinfektionen sehr übersichtlich und daher konnten die Dänen „die Früchte unserer Arbeit ernten“, wie es damals der dänische Gesundheitsminister Magnus Heunicke titulierte. Ähnliches galt auch für den Herbst. Denn bis in die letzte Septemberwoche blieb die Sieben-Tage-Inzidenz in dem 5,8 Millionen Einwohner fassenden Land konstant unter dem Inzidenzwert von 50.
Corona in Dänemark: Pandemie der Ungeimpften – „Wir werden nie wieder in den Lockdown gehen“
Doch seit Oktober ist es mit der neugewonnen Corona-Freiheit und -Herrlichkeit wieder vorbei. Das Infektionsgeschehen hat seit dem wieder sprunghaft in Dänemark angezogen. Diese Entwicklung bereitet einigen Gesundheitsexperten zunehmend Sorge. Sie sprechen sich sogar dafür aus, dass die sozialdemokratische Regierung um Ministerpräsident Mette Frederiksen wieder auf zielgerichtete Corona-Maßnahmen zurückgreift, um einer weiteren Verschärfung der Covid-19-Lage entschieden entgegenzutreten.
Das schließt auch die dänische Top-Epidemiologin Lone Simonsen nicht aus. Aber dem „Spiegel“ sagte sie: „Wir werden nie wieder in den Lockdown gehen.“ Diese Pandemie habe nun einen völlig anderen Charakter, sie sei die Pandemie der Nichtgeimpften. „Sie stellt keine Bedrohung mehr für die Gesellschaft insgesamt dar. Wir können ihr jetzt freien Lauf lassen, auch wenn sie lokal größere Ausbrüche verursachen könnte. Diese werden aber nicht mehr so tödlich sein wie noch vor der Einführung der Impfstoffe.“
Inzidenz in Dänemark: Corona-Inzidenzwert liegt bei fast 250
Dennoch befindet sich die Inzidenz in Dänemark erneut auf einem bedenklichen Höhenflug. Derzeit liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei 248,7 mit 4396 Corona-Neuinfektionen und 13 neuen Todesfällen im Zusammenhang mit Covid-19 (Stand: 7. November 2021), was den mit Abstand höchsten Wert seit dem Dezember 2020 bedeutet. Der damalige Spitzenwert belief sich am 19. Dezember auf 427 im nördlichsten Nachbarland Deutschlands.
Derweil liegt die Infektionsrate in Dänemark bei 6,9. Insgesamt hat Dänemark 2740 Tote im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 registriert.
Corona-Neuinfektionen in Dänemark: „Ansteckungszahlen steigen mehr als das, womit wir gerechnet hatten“
„Die Ansteckungszahlen steigen mehr als das, womit wir gerechnet hatten. Deshalb wäre es eine gute Idee, wenn wir etwas tun würden, um sie zu begrenzen“, erklärt dagegen Søren Riis Paludan, Professor für Virologie und Immunologie an der Universität Aarhus, in einem Zitat der „taz“. Während in Hamburg die Debatte um kostenlose Corona-Test wieder Fahrt aufnimmt und die Grünen in Niedersachsen die Wiedereinführung der kostenlosen Corona-Tests fordern, ist die Ausweitung des Testangebots in Dänemark bereits angekündigt.
Noch sind die Intensivbetten nicht wie in Niedersachsen verstopft, allerdings warnte die Gesundheitsbehörde vor dem Wochenende vor einer Überlastung der Kliniken im Winter 2021/22. Neben Corona spielen hier die Zunahme der Grippe und weiterer Infektionskrankheiten eine gewichtige Rolle.
„Wenn Sie nicht geimpft sind, wird das Virus sie erwischen“
Die Alarmglocken schrillen allerdings längst nicht bei den Nachbarn aus dem Norden. Der Grund: Die Impfquote sei ja sehr hoch: „Etwa 95 Prozent der Menschen über 50 sind voll immunisiert. Wir sehen jetzt zwar einen raschen Anstieg der Infektionen, aber keinen starken Anstieg der schweren Erkrankungen und Todesfälle. Tatsächlich haben wir sehr wenige Tote.
Der wichtigste Grund hierfür: Menschen, die geimpft sind, landen zu 90 bis 95 Prozent seltener im Krankenhaus oder im Grab als Menschen, die nicht geimpft sind.“ Die Pandemie sei aber auch in Dänemark noch lange nicht vorbei. „Wenn Sie nicht geimpft sind, wird das Virus Sie wahrscheinlich noch in diesem Winter erwischen.“
Corona in Dänemark: Schmerzgrenze bei Covid-19-Kranken in zwei bis drei Wochen erreicht?
Aber was passiert, wenn die Infektionszahlen weiter in die Höhe schießen? „Wenn der Krankenhaussektor hier zu sehr in Bedrängnis gerät, dann müssen wir auf die Bremse treten“, sagte Simonsen beim „Spiegel“. Das werde gerade diskutiert. „Unsere Schmerzgrenze liegt bei 500 stationär aufgenommenen Corona-Kranken. Im Moment sind wir etwa bei der Hälfte davon. Und anhand der Modelle, die wir hier berechnen, denken wir, dass wir in etwa zwei bis drei Wochen diese Schmerzgrenze erreichen werden“.
Eine dramatische Entwicklung erwarte sie aber nicht, so Simonsen. „Wir sind jetzt dabei, die dritte Dosis für alle über 65 Jahren zu verabreichen, das hilft uns bereits jetzt, die Hospitalisierungen auf niedrigem Niveau zu halten.“ Falls nötig, könne der Corona-Pass oder die Pflicht, einen Mund-Nase-Schutz zu tragen, wieder eingeführt werden. „Die Masken nerven, aber sie funktionieren wirklich gut, sie kosten kaum etwas und können die Infektionsrate um vielleicht 25 Prozent senken“. Auf aktuellen Fotos vom Wochenende aus Kopenhagen ist zu sehen, dass etliche Passanten angesichts des Infektionsgeschehens bereits freiwillig Schutzmasken tragen.
Hohe Impfquote in Dänemark liegt am Vertrauen in Politik und Behörden – dänischer Weg ein Vorbild für Deutschland?
Doch weshalb ist die Impfquote in Dänemark eigentlich so hoch? Ausschlaggebend seien zwei Punkte, erklärte Simonsen. „Wir Dänen setzen traditionell sehr großes Vertrauen in die Behörden und in die Politik. Wir neigen hier dazu, das zu tun, was uns Gesundheitsbehörden raten, weil wir unseren Teil zur Bekämpfung der Krankheit beitragen wollen.“
Wer dem dänischen Weg folgen wolle, brauche eine sehr hohe allgemeine Impfquote und eine „ganz extrem hohe Quote bei Menschen über 50“, so Simonsen weiter. Im Hinblick auf die Corona-Lage in Deutschland, wo die vierte Welle gerade heranrollt und ein geheimer Corona-Plan der Bundesregierung durchgesickert ist, erklärte die Gesundheitsexpertin: „Das reicht wohl leider nicht. Ich glaube, Sie brauchen mindestens 90 Prozent, sonst bekommen Sie heftige Ausbrüche mit hohen Zahlen von Schwerkranken und Toten.“ Derzeit sind etwa 85 Prozent der Bürgerinnen und Bürger über 60 vollständig gegen das Coronavirus geimpft. * kreiszeitung.de und 24hamburg.de sind ein Angebot von IPPEN.MEDIA.