Übergriffe in der Schiffsfahrt: Zahlreiche weibliche Seeleute werden belästigt

In der Handelsschiffsfahrt gibt es zahlreiche Übergriffe auf weibliche Seeleute. Der Verband Deutscher Reeder (VDR) ist alarmiert und fordert mehr Schutz für Frauen.
Hamburg – Bahnt sich ein großer Skandal in der Schiffsfahrt an? Zwar sind auf den Weltmeeren weibliche Seeleute noch rar. Doch zeigt eine aktuelle Umfrage nun das große Ausmaß an sexueller Belästigung auf Handelsschiffen gegenüber weiblichen Crewmitgliedern ein dramatisches Problem der Branche auf:
Etwa zwei Drittel der Befragten wurden bereits an Bord belästigt und sahen sich Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. „Die Ergebnisse sind schrecklich“, heißt es seitens des Verbands Deutscher Reeder (VDR)
Übergriffe in der Handelsschifffahrt: Umfrage zeigt Ausmaß der Probleme für weibliche Seeleute
Eine Branche ist in Aufruhr: Seeschiffe transportieren rund 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs und sind damit ein großer Rückhalt für die Wirtschaft vieler Nationen. Ohne sie würde es global nicht vorangehen, wichtige Handelsrouten für den Schiffsverkehr umspannen den gesamten Globus und verbinden die Kontinente miteinander. Seit Jahrhunderten gilt die Schiffsfahrt als Männerdomäne, doch seit einigen Jahren gibt es Wandel in der Branche. Zwar machen weibliche Seeleute bisher nur einen Bruchteil der Crewmitglieder aus. Doch wächst ihr Anteil.
Im vergangenen Jahr wurde erstmals der Tag der Frauen in der Seeschifffahrt eingeführt. Damals waren nur 1,2 Prozent der international 1,9 Millionen Seeleute weiblich. Doch nimmt ihre Zahl seit Jahren stark zu. Dass nun die jüngste Umfrage der Women’s International Shipping & Trading Association (WISTA) unter mehr als 1000 weiblichen Seeleuten aus 78 Ländern auf die eklatante Lage aufmerksam macht, ist dabei mit großer Wahrscheinlichkeit ein herber Rückschlag. Derweil ist die Kreuzfahrt-Branche in Deutschland weiterhin beliebt: Bei der Fahrt mit Aida, Mein Schiff oder Costa sollten Neulinge allerdings auf einiges achten.
Umfrage über Übergriffe in der Seefahrt: Zwei Drittel der Frauen wurden bereits belästigt
Laut der Studie gaben zwei Drittel der Befragten an, von ihren männlichen Kollegen an Bord belästigt und eingeschüchtert worden zu werden; ein Viertel der Frauen habe zudem angegeben, dass körperliche und sexuelle Belästigung in der Schifffahrt an der Tagesordnung seien. Für die Verbandsvorsitzende Gaby Bornheim der Deutschen Verkehrs-Zeitung (DVZ) ein erschreckendes Ergebnis. „Der Befund ist furchtbar und darf auf keinen Fall relativiert werden“, sagte die Geschäftsführerin der Peter Döhle Schiffahrts-KG. Losgelöst davon, gab es im vergangenen Jahr für die deutsche Schifffahrt große Veränderungen: Olaf Scholz könnte sich bei der Entscheidung über den Einstieg der Chinesen im Hamburger Hafen durchsetzen.
Wichtiger Schritt sei es laut Bornheim, übergriffiges Verhalten von Männern zu ahnden und nicht zu verharmlosen. „Es müssen entsprechende Compliance-Regelungen eingeführt werden.“ Frauen müssten sich vertrauensvoll auch über Whistleblowing-Hotlines an entsprechende Stellen im Unternehmen wenden können, ohne Nachteile befürchten zu müssen. „Ich weiß, wovon ich rede“, sagte Bornheim der DVZ. Wenn eine Frau in ihrer Abteilung einen männlichen Kollegen habe, dessen Avancen sie nicht erwidere, dann werde es für die Frau oftmals übel, sagte Bornheim.
Verband Deutscher Reeder betont dringenden Handlungsbedarf
Gegenüber kreiszeitung.de teilte der Verband Deutscher Reeder mit, dass die Ergebnisse der Untersuchung „leider für viele Frauen auch in anderen Berufen trauriger Alltag und nicht branchenspezifisch“ seien. Dennoch: Das Schiff sei ein geschlossener Raum und bedarf deshalb auch spezieller Reporting-Rahmenvorgaben, die auch die Landseite mit involvieren. Wichtig ist zudem, dass es Frauen möglich gemacht wird, sich vertrauensvoll auch über Whistleblowing-Hotlines an entsprechende Stellen im Unternehmen wenden zu können.
Gleichzeitig betont der Verband aber auch, dass die Unternehmen in diesem Bereich sehr aktiv seien. Allen sei bewusst, dass diese Zustände beseitigt werden müssen. Demnach würde es Leitfäden und Rahmenregelungen der internationalen Schifffahrtsverbände geben, die Unternehmen im Umgang mit entsprechenden Situationen eine Handlungsgrundlage ermöglichen.
400 Frauen arbeiten in Deutschland als Seeleute – Anteil steigt
Viele Frauen, die sich solchen bedrohlichen Szenarien auf hoher See ausgesetzt sehen, stehen oft vor einer schweren Entscheidung: Sie können sich zwar ihrem Vorgesetzten anvertrauen – in der Regel einem Mann. Dass sie von ihm aber Hilfe bekomme, sei oft nicht gesichert, so Bornheim. Die Rolle der Frau ist in der Handelsschiffsfahrt also weiterhin eine schwierige. Verglichen mit der restlichen Welt, nimmt Deutschland eine Vorreiterrolle bei dem Anteil der weiblichen Seeleute ein: 2022 waren es knapp 400 Frauen, die an Bord der deutschen Handelsflotte arbeiteten.
Das entsprach einem Anteil von etwa 6 Prozent aller Beschäftigten. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet, gibt es hierzulande auch längst organisierte Seefrauen, und schon im Jahr 1981 fand die erste Konferenz mit dem Titel „Ladies in Shipping“ in Hamburg statt. Dass der Anteil an weiblichen Seeleuten weltweit steigt, hat mutmaßlich nur bedingt mit einer toleranten Haltung der Branche zu tun: Seit Jahren kämpft die Handelsschiffsfahrt mit einem Nachwuchsproblem.
* Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde zuletzt am Mittwoch, 8. Februar 2023, um 18:50 Uhr um die Aussagen des Verbandes Deutscher Reeder ergänzt.