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RS-Virus: Frankreich ruft Notfallplan wegen Bronchiolitis-Epidemie aus

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Von: Ulrike Hagen

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In Frankreich greift eine schwere Bronchiolitis-Welle um sich: Tausende Säuglinge kamen mit schweren Atemwegsbeschwerden aufgrund des RS-Virus in Kliniken. 

Paris – Wegen einer schweren Welle von Atemwegserkrankungen bei Babys und Kleinkindern hat Frankreich einen Notfallplan aktiviert. „Angesichts eines seit zehn Jahren nicht mehr dagewesenen Niveaus an Krankenhauseinweisungen, die durch die Bronchiolitis-Epidemie verursacht wurden, habe ich heute den Plan ORSAN aktiviert“, twitterte Gesundheitsminister François Braun im Senat in Paris am Mittwoch, 9. November 2022.

RS-Virus: Frankreich aktiviert Notfallplan wegen Bronchiolitis-Epidemie bei Babys

Vor allem im Norden Frankreichs wütet die Bronchiolitis. Die schwere Atemwegserkrankung wird durch den RS-Virus ausgelöst und betrifft vor allem Säuglinge. Allein in der ersten November-Woche kamen in Frankreich 6891 Kleinkinder unter 24 Monaten mit einer Bronchiolitis in die Notaufnahme, teilten die Gesundheitsbehörden mit.

Ein Arzt untersucht ein Baby mit einem Stethoskop
RS-Virus: Frankreich ruft Notfallplan wegen Bronchiolitis-Epidemie aus. Fast 7000 Kinder kamen vergangene Woche in die Notaufnahme. (Symbolbild) © imago

2337 Kinder mussten stationär aufgenommen werden, 95 Prozent davon waren unter einem Jahr alt. Auch Bushidos Frau Anna-Maria Ferchichi wurde gerade mit Baby ins Krankenhaus eingeliefert, Diagnose: RS-Virus.

Bronchiolitis: Experten warnen erneut vor vermehrten RS-Virus-Fällen in Deutschland

Das Respiratorische Synzytial Virus, kurz RSV, ist der häufigste Auslöser für Infektionen der unteren Atemwege und Lungenentzündungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Er tritt saisonal von November bis März auf. In Deutschland sorgte im vergangenen Jahr eine Infektionswelle durch RS-Viren, die verstärkt Kinder befallen, für große Sorge bei Kinderärzten.

Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV)

Das RSV ist ein weltweit verbreiteter Erreger von akuten Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege in jedem Lebensalter und einer der bedeutendsten Erreger von Atemwegsinfektionen bei Säuglingen, insbesondere Frühgeborenen und Kleinkindern. In Saisonalität und Symptomatik ähneln RSV-Infektionen der Influenza. Ihre Verbreitung in der Allgemeinbevölkerung wurde lange Zeit unterbewertet. Nach aktuellen Schätzungen kommen RSV-Atemwegserkrankungen jedoch weltweit mit einer Inzidenz von 48,5 Fällen und 5,6 schweren Fällen pro 1.000 Kindern im ersten Lebensjahr vor.

Unter anderem im Rhein-Main-Gebiet belasteten RSV-Fälle die Kinderkliniken extrem. Nun hat die nächste Saison begonnen, und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) warnt erneut vor vermehrten RSV-Fällen.

Steigende Zahl von RSV-Infekten bei Kindern ab November 2022: Besonders für Frühchen gefährlich

„Vor allem Säuglinge unter vier Monaten und Kinder mit chronischen Erkrankungen trifft es oft schwer. RSV kann zu einer Bronchiolitis führen, einer Entzündung der kleinen und kleinsten Atemwege. Neben Schleimhautschwellungen dort bildet sich Schleim, der das Atmen, vor allem das Ausatmen erschwert. Auch die Lunge kann betroffen sein“, erklärt Dr. Ulrich Fegeler, Kinder- und Jugendarzt und Mitglied des Expertengremiums des Berufsverbandes auf kinderaerzte-im-netz.de.

„Noch kein besorgniserregendes Signal“ – aber Bronchiolitis-Welle könnte nach Deutschland schwappen

Doch noch herrscht hierzulande Ruhe vor dem Sturm: „In Deutschland gibt es derzeit noch kein besorgniserregendes Signal“, erklärt PD Dr. Martin Wetzke, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin und Oberarzt der Abteilung für pädiatrische Pneumologie und Allergologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Aber das kann in zwei, drei Wochen schnell ganz anders aussehen“, so der Mediziner gegenüber kreiszeitung.de. Denn natürlich könnte die Welle aus Frankreich auch innerhalb kürzester Zeit nach Deutschland schwappen.

„Infektiologischer Aunahmezustand“ durch Corona macht Prognosen schwierig

Doch ein Verlauf lässt sich nicht gut absehen, warnt Wetzke: „Wir befinden uns immer noch in einem infektiologischen Ausnahmezustand durch Corona. Dadurch lässt sich einiges nicht mehr gut einschätzen. Die Distanzierungsmaßnahmen haben erhebliche Effekte auf unser immunologisches Gedächtnis.“ Im Rahmen der „PAPI“-Studie untersucht der Mediziner an der Medizinischen Hochschule Hannover die Dynamik von Atemwegsinfektionen bei Säuglingen und Kleinkindern vor, während und nach der Corona-Pandemie.

Wir befinden uns immer noch in einem infektiologischen Ausnahmezustand durch Corona. Dadurch lässt sich einiges nicht mehr gut einschätzen.

PD Dr. Martin Wetzke, Oberarzt der Pädiatrischen Pneumologie und Allergologie an der MHH

„Bis zum Ende des zweiten Lebensjahres hat üblicherweise praktisch jedes Kind eine RSV-Infektion durchgemacht. Für die meisten Kinder ist die Infektion unproblematisch, aber ein Teil der Kinder wird ernsthaft krank. Von den jährlich mehr als 200.000 Fällen müssen rund zwei bis drei Prozent der Kinder eines jeden Jahrgangs stationär behandelt werden, das entspricht deutschlandweit mehr als 15.000 Einweisungen im Jahr.“ So gesehen sei die Zahl von annähernd 7000 Kleinstkindern, die in Frankreich innerhalb von einer Woche in die Notaufnahme kamen, aber „sehr, sehr viel“.

Bronchiolitis-Welle – geringere Immunität der „Corona“-Babys schuld?

Und das könnte eben durchaus durch die geringere Immunität der „Corona“-Babys bedingt sein. „Die Weitergabe des immunologischen Gedächtnisses von Schwangeren an ihre Ungeborenen ist wichtig“, so der Kinderarzt. Und durch die Distanzierungsmaßnahmen sind nicht nur (werdende) Mütter, sondern auch ihre Babys mit weniger Immunität auch dem RV-Virus gegenüber gerüstet. Eins steht fest: Sollte die Welle tatsächlich nach Deutschland schwappen, könnte es eng werden – Hamburger Kinderärzte schrieben bereits einen Brandbrief: „Versorgung akut gefährdet“.

Impfung gegen schwere RS-Virus-Erkrankungen voraussichtlich 2024 verfügbar

Die Kinderklinik der Medizinischen Hochschule Hannover beteiligt sich nun an einer europaweiten Studie, die den Impfstoff „Nirsevimab“ zur Vorbeugung von schweren Erkrankungen mit dem RS-Virus – und damit eben auch Krankenhausaufenthalten – bei Säuglingen in den ersten zwölf Lebensmonaten untersucht. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend; die Europäische Arzneimittelagentur hat bereits eine Empfehlung zur Zulassung des Impfstoffes ausgesprochen. „Nirsevimab wird voraussichtlich ab 2024 für alle Kinder verfügbar sein“, erklärt Wetzke dazu.

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