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Impfpflicht, Lockdown, 2G: Das halten Experten für möglich

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Von: Yannick Hanke

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Zu sehen sind das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sowie die Justitia, die sich beide auf einem Tisch befinden.
Erneut wird über eine Verschärfung der Corona-Regeln diskutiert. Doch ist dies überhaupt konform mit der rechtlichen Grundlage? (Symbolbild) © Sascha Steinach/imago

Deutschland befindet sich in der vierten Corona-Welle. Die Politik muss darauf reagieren. Doch was ist rechtlich umsetzbar? Und was vor allem nicht?

Berlin/Karlsruhe – Infolge der stetig steigenden Corona-Infektionszahlen muss und wird die Politik zeitnah reagieren. Ähnlich wie im Winter 2020 stehen theoretische Modelle und Überlegungen zur Bekämpfung der Pandemie im Raum. Die große Frage: Welche Einschränkungen, Maßnahmen und Regeln halten vor den Gerichten stand? kreiszeitung.de schafft die Fakten hinsichtlich der rechtlichen Lage.

Gericht in Karlsruhe, Baden-Württemberg:Bundesverfassungsgericht
Adresse:Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
Vorsitz:Stephan Harbarth (Präsident); Doris König (Vizepräsidentin)
Gründung:1951, Karlsruhe
Stellung:Verfassungsorgan
Anzahl der Bediensteten:zirka 260
Staatliche Ebene:Bund

Corona-Maßnahmen müssen der rechtlichen Grundlage entsprechen – Bundesverfassungsgericht trifft Entscheidungen

Die Pandemie begleitet Deutschland bereits seit März 2020. Seitdem sind viele Gerichtsentscheidungen gefallen, die unmittelbare Reaktionen vonseiten der Politik auf die Coronavirus-Krise zum Thema hatten. Doch handelt es sich hierbei laut dpa oftmals um Eilentscheidungen. Richter würden lediglich prüfen, wie schlimm es wäre, wenn Maßnahmen fälschlicherweise zu früh gekippt werden.

Es geht auch um die Frage, was es für einen Kläger bedeutet, wenn eine Corona-Maßnahme noch eine Weile in Kraft bleibt – und das möglicherweise sogar unrechtmäßig. Schon zu Beginn der Pandemie hatte das Bundesverfassungsgericht mit diesem Agieren dafür gesorgt, dass Demonstrieren wieder möglich war. Zudem konnten Gottesdienste, wenn auch unter strengen Auflagen, wieder stattfinden. Auf viele drängende Fragen stehen jedoch noch immer finale Entscheidungen und damit auch Antworten aus.

Bundesregierung wartet auf Corona-Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht – und könnte bereits handeln

Erst im Oktober hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Anfang gemacht und die sehr weitgehenden Ausgangsbeschränkungen in Bayern im Rahmen der ersten Corona-Welle im Hauptverfahren für unverhältnismäßig erklärt*. Doch ist dieser Beschluss noch nicht rechtskräftig. Dagegen will die Staatsregierung Revision einlegen.

Bis Ende November wurde die erste große Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in Aussicht gestellt. Hierbei geht es konkret um die Bundes-Notbremse, die von Ende April bis Ende Juni 2020 bundeseinheitliche Maßnahmen ermöglichte. Hierzu zählten unter anderem Kontaktbeschränkungen, nächtliche Ausgangssperren sowie Schulschließungen.

Doch bis es so weit ist, muss die Politik sozusagen auf Sicht fahren. „Die Verfassung steht einer weiterhin maßvollen, aber eben auch effektiven Pandemiebekämpfung keineswegs entgegen“, merkt Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold von der Universität Flensburg an. Das schreibt sie in einem Beitrag für den „Verfassungsblog“.

Staat muss seinen Schutzpflichten nachkommen – Freiheitsrechte prallen aufs Recht der körperlichen Unversehrtheit

Generell sind Grundrechtseingriffe möglich, wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden – und die Maßnahme für verhältnismäßig befunden wird. Das gelte auch in einer Ausnahmesituation einer Pandemie wie der Coronavirus-Krise. Die Leitkriterien sind demnach „geeignet“, „erforderlich“ und „angemessen“.

Dabei muss immer berücksichtigt werden, ob derselbe Zweck am Ende des Tages nicht auch mit „milderen Mitteln“ erreicht werden kann. Zudem sind die betroffenen Grundrechte gegeneinander abzuwägen. Auf der einen Seite stehen die Freiheitsrechte, auf der anderen Seite das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Hier muss der Staat seinen Schutzpflichten nachkommen.

Die Corona-Gesamtlage und der bisherige Verlauf der Pandemie erschweren jedoch einiges. Denn die Verfassungsmäßigkeit einer Maßnahme ist nicht unverrückbar, sondern hängt von der aktuellen Situation und wissenschaftlichen Erkenntnissen ab. Erst lag kein Impfstoff vor, dann schon. Erst musste sich nur mit dem Coronavirus an sich beschäftigt werden, mittlerweile sind Mutationen wie die noch ansteckendere Delta-Variante* bekannt. Es liegt also ein weiter Einschätzungsspielraum der Politik vor.

Rechtslage für Ungeimpfte: Können laut Grundgesetz anders behandelt werden als Geimpfte

Wie aber stellt sich die Rechtslage für Ungeimpfte dar? Dürfen sie strikteren Corona-Beschränkungen unterworfen werden, wie es vielerorts gefordert wird? Unter Rechtsexperten sieht in dieser Angelegenheit niemand ein grundlegendes Problem. Qua Grundgesetz gibt es auch nicht die Vorgabe, dass alle Bürger des Staates zu jeder Zeit gleich behandelt werden müssen. Doch bedarf es eines triftigen Sachgrunds für eine unterschiedliche Behandlung.

„Flächendeckende und kontaktbeschränkende Maßnahmen gegenüber der gesamten Bevölkerung“ hält Mangold derzeit für zulässig. Damit bezieht sich die Rechtsprofessorin auf Corona-Einschränkungen „gegenüber geimpften wie ungeimpften Personen“. Ihre Argumentation: überfüllte Intensivstationen bedrohen potenziell die Gesundheit aller Menschen.

Demgegenüber steht die Meinung von Andrea Kießling. Die Juristin von der Ruhr-Uni Bochum plädiert für eine Differenzierung. „Einfach pauschal irgendwelche Dinge anordnen, die dann für alle Personen uneingeschränkt gleich gelten, das geht nicht mehr“, heißt es von ihr gegenüber „Zeit Online“.

Diskussion über bundesweite Impfpflicht: „Keine verfassungsrechtlichen Bauchschmerzen“

Weiterhin wird auch über eine Impfpflicht für alle oder zumindest Berufe wie Pflegefachpersonal diskutiert. In dieser Hinsicht hat Kießling „keine verfassungsrechtlichen Bauchschmerzen“. Die Impfpflicht sollte in Betracht gezogen werden – befindet Hinnerk Wißmann von der Westfälischen Wilhelms-Universität.

In einer aktuellen Stellungnahme für das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag spricht sich Wißmann für die Impfpflicht aus, „bevor etwa allgemeine Lockdowns für Schulen oder Hochschulen in Betracht kommen“. Diese werden von ihm als „milderes Mittel“ bezeichnet.

Epidemische Lage von nationaler Tragweite: Abschaffung dieser Feststellung durch Ampelkoalition lässt Juristen streiten

Bleibt zuletzt die Frage, ob weiterhin die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ gelten muss. Diese Feststellung wird vorausgesetzt, um eine Vielzahl von Maßnahmen aus dem Infektionsschutzgesetz wie Ausgangs- und Reisebeschränkungen anordnen zu können. Doch will die angestrebte Ampelkoalition die epidemische Lage nicht über den 25. November hinaus verlängern. Den Ländern soll in diesem Fall auf andere Weise zumindest ein Teil der Schutzßmaßnahmen ermöglicht werden.

Diese Causa führt zu Streitigkeiten unter Juristen. „Die Feuerwehr wirft mitten im Einsatz Teile ihrer Ausrüstung ins Feuer“, merkt der Bielefelder Rechtsprofessor Franz Mayer lakonisch an. In eine ähnliche Kerbe schlägt Ferdinand Wollenschläger von der Universität Augsburg. Er hält es für „rechtlich nicht geboten“, den Katalog an möglichen Corona-Schutzmaßnahmen in großem Umfang zusammenzustreichen. Andere Experten halten den Zeitpunkt wiederum für vertretbar. Sie bleibt also ein steter Begleiter der Corona-Pandemie – die Uneinigkeit. * kreiszeitung.de, 24hamburg.de und merkur.de sind Angebote von IPPEN.MEDIA.

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