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Was die RSV-Welle mit Corona zu tun hat – und warum der Höhepunkt erst kommt

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Von: Carolin Gehrmann

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Der heftige Anstieg an Infektionen mit dem RS-Virus sorgt derzeit für massive Probleme in deutschen Kinderkliniken. Dabei sei diese Entwicklung „eine Welle mit Ansage“ gewesen. Nun müsse schnell gehandelt werden, sagt der Virologe Alexander Kekulé.

Bremen – Die massive Ausbreitung des Respiratorischen Synzytial-Virus, oder kurz RSV, ist derzeit ein großes Problem in Deutschland. Gerade bei kleinen Kindern sorgt es für schwere Atemwegserkrankungen, die eine Behandlung im Krankenhaus erforderlich machen können. In Kinderkliniken herrschen deswegen vielerorts bereits katastrophale Zustände: Kinder müssen abgewiesen werden oder teilweise nur notdürftig auf den Gängen untergebracht werden, obwohl sie schwer krank sind. Zahlreiche Kinderstationen sind wegen der ungewöhnlich vielen schweren Atemwegsinfekten bei den Kleinsten vollkommen am Limit.

RSV ist für Babys und Kleinstkinder eine sehr ernsthafte Erkrankung, weil ihre Bronchien noch zu klein sind

RSV betreffe aber momentan die breite Gesellschaft, nicht nur die Kinder, wie der Virologe Alexander Kekulé im Podcast „Kekulés Corona-Kompass“ des Mitteldeutschen Rundfunks (mdr) erklärt. Laut Robert-Koch-Institut geht rund ein Drittel aller Atemwegsinfekte derzeit auf das RS-Virus zurück. Doch im Gegensatz zu den Kleinen erkranken die Erwachsenen viel leichter, sagt der Experte. Sie würden „nur leicht hüsteln“, aber die Kinder trotzdem anstecken – die dann die Leidtragenden davon sind, dass das Virus derzeit gerade so massiv um sich greift. Deren Bronchien seien noch zu klein, sie würden viel stärker verschleimen, was im Ernstfall zu starken Atemproblemen führen kann. Dann müssen die kranken Kinder im Krankenhaus Sauerstoff erhalten.

Der jetzige Ausbruch des RS-Virus sei laut Virologen „eine Welle mit Ansage“ gewesen

RSV ist eine Krankheit, an der die Kinder auch sterben können, mahnt Kekulé, der bereits im November vor der Ausbreitung des RS-Virus gewarnt hatte. Es sei „eine Welle mit Ansage“ gewesen, mit der aufgrund der Entwicklungen in Frankreich einige Wochen zuvor zu rechnen gewesen sei. Dort hatte wegen der vielen Erkrankungen ein Notfallplan in Kraft treten müssen. Warum man in Deutschland nicht entsprechend reagiert und sich auf die Welle vorbereitet habe, kann sich der Experte nicht erklären. Mit vier Wochen Vorlauf hätte man viele Vorkehrungen treffen können, um die derzeitige katastrophale Lage in den Kinderkliniken zu verhindern. Ein Problem sei sicher, dass es auch in diesem Bereich an Fachpersonal mangele. Ein weiterer Grund liegt wohl auch darin, dass in den letzten Jahren immer mehr Kinderbetten in den Kliniken abgebaut wurden – sogar 2021, inmitten der Corona-Pandemie.

Die Heftigkeit der RSV-Welle liegt auch an der Corona-Pandemie – und an den Schutzmaßnahmen

In Frankreich habe man die Spitzen der Infektionswelle trotz des Notfallplans nicht so abdämpfen können, wie erhofft. In Deutschland sind die Warnungen, die von der Situation in Frankreich ausgehen, offenbar dennoch nicht ernst genug genommen worden, vermutet er, weshalb es hier in den nächsten Wochen noch zu einer Verschärfung in den Kliniken kommen könnte. Eigentlich ist es in den Wintermonaten vollkommen normal, dass es zu Infektionen mit dem RS-Erreger kommt. Dass die diesjährige RSV-Welle aber so ungewöhnlich heftig ausfällt, liegt auch an der Corona-Pandemie, sagt der Virologe, – und an den damit verbundenen Maßnahmen.

RS-Virus Patienten in der Kinderklinik
Das RS-Virus betrifft in dieser Saison gleich drei Jahrgänge von Babys und Kleinkindern – ein „Nachholeffekt“ aufgrund der Corona-Pandemie. © dpa/ Marijan Murat

Bei der starken RSV-Welle handelt es sich um einen „Nachholeffekt“ der letzten zwei Jahre

Es handele sich im Grunde um eine Art „Nachholeffekt“. Durch die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus wie das Maskentragen oder die Abstandsregeln sei das Immunsystem der meisten Menschen zwar nicht schwächer geworden, es sei aber auch in der Zeit viel seltener mit Erregern in Kontakt gekommen. Nach jeder Erkrankung bilden sich Antikörper und für eine gewisse Zeit verfüge man dadurch über einen höheren Immunschutz gegen den entsprechenden Erreger. Wenn man jetzt aber zwei Jahre keinen Atemwegsinfekt gehabt hat, dann ist auch der Immunschutz inzwischen viel geringer ausgeprägt – weshalb sich jetzt so viele Menschen mit RSV anstecken.

Die erste Erkrankung mit einem Erreger ist immer die schlimmste, weil das Immunsystem dann am meisten arbeiten muss

Babys infizierten sich normalerweise in den ersten sechs Monaten ihres Lebens erstmalig mit dem Erreger. Die erste Erkrankung sei immer die stärkste, erklärt der Virologe, da das Immunsystem dann „am meisten zu tun“ hätte. Anschließend hätten sich dann bereits Antikörper gebildet, wodurch die Folgeerkrankungen dann größtenteils milder sind. Diese frühe Erstansteckung sei bei vielen Kindern, die in der Corona-Pandemie geboren wurden, aufgrund der Schutzmaßnahmen aber ausgefallen. Ihre Immunsysteme kennen die Erreger gar nicht. Normalerweise machen 90 Prozent von ihnen in den ersten zwei Lebensjahren beispielsweise eine RSV-Infektion durch, 50 Prozent sogar zweimal, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) schreibt. 

„Wenn man zwei Jahre lang keine Kinder einschulen würde, dann hätte man plötzlich sehr große erste Klassen“ – so ist es jetzt auch beim RS-Virus

Und so kommt es, dass jetzt auch von den älteren Kindern bis zu drei Jahren viele zum ersten Mal mit dem Virus konfrontiert sind und teilweise schwer erkranken. „Das kann man sich vielleicht vorstellen, wie wenn man jetzt zwei Jahre lang keine Kinder einschulen würde, dann hätte man plötzlich sehr große erste Klassen, weil man einfach zwei Jahre lang keine erste Klasse hatte“, sagte die Leiterin des Zentrums für neuartige Virus­erkrankungen an der Universitätsklinik Genf, Isabella Eckerle, gegenüber dem WDR-Wissenschafts­magazin Quarks.

Die Zahl der RSV-Erkrankungen liegt nicht an einem „nicht trainierten Immunsystem“

Und auch nach Ansicht Kekulés liegt darin der Grund für die derzeitige extreme Häufung von RSV-Erkrankungen bei Babys und Kleinkindern. Nicht aber ein „nicht ausreichend trainiertes Immunsystem“, wie er betont. Denn das sei schließlich kein Muskel, der durch wiederholte Infektionen trainiert werden könne. Wenn man seltener krank würde, würde es auch nicht schwächer. Man sei einfach nur nicht so oft krank, was an sich eine gute Sache sei.  Deshalb hält er es auch grundsätzlich für eine gute Idee, im Herbst und Winter, wenn die Erkältungswellen anrollen, beispielsweise im Bus eine Maske zu tragen.

Corona-Maßnahmen haben keine „Schuld“ – sie haben schließlich ein anderes bedrohliches Virus aufgehalten

Von „Immunschuld“ zu sprechen oder die Corona-Maßnahmen für die derzeitige RSV-Welle verantwortlich zu machen, hält der Experte aber für falsch. Schließlich habe man so ein anderes, sehr bedrohliches Virus relativ erfolgreich von den Menschen ferngehalten – allerdings auch die übrigen Atemwegserreger, wie beispielsweise das Influenza-Virus. In der Saison 2019/2020 hatte das RKI noch rund 191.000 Grippefälle registriert, 2020/2021 – mit Beginn der Pandemie – waren es dagegen nur noch 753. Diese „verpassten“ Infektionen träfen nun eben verstärkt die Kleinkinder. Weshalb die Politik auch gefordert sei, schnelle Maßnahmen einzuleiten, um die Situation in den Kliniken zu entschärfen.

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