Erhöhtes Risiko für Depressionen bei Musikern? Studie klärt auf

Hängen Musikalität und psychische Gesundheit zusammen? Das haben Wissenschaftler in einer Studie untersucht. Die Ergebnisse seien jedoch nur bedingt aussagekräftig.
Frankfurt am Main – „Ich bin psychisch krank und kämpfe jeden Tag“, hat Lady Gaga einst verraten. Die Popsängerin leidet unter Depressionen und an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Damit ist sie kein Einzelfall, definitiv aber eines der prominentesten Beispiele innerhalb der Musikbranche. Ein weiterer bekannter Name ist Kurt Cobain, ehemals Frontmann der Grunge-Heroen Nirvana. Er litt höchstwahrscheinlich an einer bipolaren Störung und nahm sich 1994 das Leben.
Zwei Beispiele, welche die folgende Frage aufwerfen: Hängen psychische Gesundheit auf der einer und Musikalität auf der anderen Seite in irgendeiner Form zusammen? Dem wollten sich Wissenschaftler in einer großangelegten Zwillingsstudie annähern. Die Ergebnisse im Überblick – und warum sie mit Vorsicht zu deuten sind.
Erhöhtes Risiko für Depressionen bei Musikern? Studie untersucht Zusammenhang zwischen Musikalität und psychischer Gesundheit
Der bisherige Forschungsstand war eindeutig: Musizieren ist gut für eine gesunde Psyche. Ein Ansatz, der beispielsweise auch von Musiktherapien verfolgt wird. Und dennoch scheinen Musiker, verglichen mit musikalisch eher inaktiven Menschen, häufiger unter Depressionen und Angststörungen zu leiden. So zumindest der Eindruck.
Um dieser Wahrnehmung hinsichtlich der Erkrankung von Depressionen näher auf den Grund zu gehen, hat ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik (MPIEA) in Frankfurt am Main eine entsprechende Studie erhoben. Unter dem Titel „The effects of playing music on mental health outcomes“ (zu Deutsch: Die Auswirkungen des Musizierens auf die psychische Gesundheit) sollte ein möglicher Zusammenhang zwischen Musikalität und psychischer Gesundheit ergründet werden – mithilfe des schwedischen Zwillingsregisters (STR).
Depressionen bei Musikern: Studie greift zur Ergründung auf schwedisches Zwillingsregister (STR) zurück
„Wir haben 30.000 Zwillinge eingeladen, uns Antworten zu geben“, berichtet Senior-Studienleiterin Miriam Mosing vom MPIEA in Deutschland. Konkret wurde die musikalische Aktivität abgefragt, also welche Instrumente die Zwillingspaare spielen, wie viel sie spielen – aber auch, wie erfolgreich sie im Bereich der Musik sind.
Und dann haben wir sie dann auch gefragt, ob sie an psychischen Problemen leiden und wie oft.
Zwillinge seien für solche Studien ideal, da sie meist im selben Haushalt aufwachsen würden und komplett oder zumindest teilweise die gleichen Gene haben. Das steht natürlich in Abhängigkeit davon, ob es sich um ein- oder zweieiige Zwillinge handelt.
Zwillingsstudie bestätigt Zusammenhang: Musikalisch Aktive mit etwas höherem Risiko für psychische Erkrankungen wie einer Depression
Zunächst einmal hätte sich gezeigt, dass die Zwillinge, die ein Musikinstrument spielten und auch erfolgreich waren beim Musizieren, häufiger berichteten, dass sie Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit hatten. Dann untersuchte das Forschungsteam, ob musikalische Aktivität unter Umständen psychisch krank machen kann, sich beispielsweise in einer Depression äußert – oder ob umgekehrt psychische Probleme dazu führen können, dass Menschen musikalisch aktiv werden. Doch hätte so ein Zusammenhang laut Mosing nicht festgestellt werden können.
Dem Forschungsteam zufolge würde es auch nicht bedeuten, dass sich das Risiko für Depressionen, die durch Kaffee gelindert werden können, erhöht, wenn Menschen musizieren oder schon als Kinder musikalische Förderung genießen. Festzuhalten sei aber, dass die, die musikalisch sind, ein etwas höheres Risiko für psychische Erkrankungen hätten. Das sei genetisch angelegt.
Forscher wollen Depressionen bei Musikern auf den Grund gehen – und untersuchen genetische Beziehung zwischen Musikalität und psychischer Gesundheit
Das Forschungsteam nahm in einem weiteren Schritt aber auch die genetische Beziehung zwischen Musikalität und psychischer Gesundheit unter die Lupe. Hierfür konnte es auf die molekularen Daten von ungefähr 5.000 Zwillingen zurückgreifen. Diese hatten eingewilligt, auch Informationen über ihre DNA und ihre Gene zur Verfügung zu stellen.
Auf Basis dessen errechneten die Wissenschaftler sogenannte polygenetische Scores: Das sind genetische Risikowerte, die bestimmte erbliche Merkmale von Menschen mit genetischen Auffälligkeiten im Erbgut in Zusammenhang bringen. In diesem konkreten Fall berechneten die Forscher einmal Werte für das genetische Risiko der Zwillinge für psychische Erkrankungen wie zum Beispiel einer Depression sowie ihrer Frühwarnzeichen und zum anderen für deren genetische Veranlagung zur Musikalität.
Was ist das schwedische Zwillingsregister?
Das schwedische Zwillingsregister (STR) ist das größte Zwillingsregister der Welt. Es zählt über 140.000 lebende und verstorbene Zwillingspaare und ist Bestandteil eines europäischen Registers mit 600.000 Zwillingen (Stand: 2008). Zwillingsregister, wie dieses staatliche, sind Grundlage der Zwillingsforschung.
Das schwedische Zwillingsregister wurden in den frühen 1960er-Jahren mit dem Ziel gegründet, die Effekte des Rauchens auf unsere Gesundheit zu untersuchen. Die Datenbank besteht aus mehreren Geburtenkohorten, also Zwillingen, die in einer bestimmten Zeitspanne geboren wurden. Das Adressenverzeichnis wird monatlich, das Krebs- beziehungsweise Sterbeverzeichnis jährlich aktualisiert.
Genutzt wurde die Datenbank unter anderem auch schon zur Untersuchung von Demenz-Erkrankungen sowie Osteoporose- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die Auswertung der Daten hätte dann gezeigt, dass Menschen mit einem höheren genetischen Risiko für Depressionen und bipolare Störungen im Durchschnitt auch häufiger musikalisch aktiv waren, mehr übten und Leistungen auf einem höheren künstlerischen Niveau erbrachten.
Musiker mit leicht höherem genetischen Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen
Diese Zusammenhänge seien unabhängig davon aufgetreten, ob die Personen auch tatsächlich unter psychischen Problemen litten. Gleichzeitig hätte sich gezeigt, dass Menschen, die ein höheres musikalisches Talent mitbrachten, eine größere Wahrscheinlichkeit hatten, später an einer Depression zu erkranken. Das war aber auch davon abhängig, ob diese Menschen tatsächlich ein Instrument spielten.
Die Schlussfolgerung: Musikalische Menschen haben im Schnitt ein leicht höheres genetisches Risiko für bestimmte psychische Erkrankungen. Denn die genetischen Varianten, die psychische Probleme wie Depressionen beeinflussen, und solche, die auf musikalisches Engagement einwirken, würden sich überschneiden. Im Open-Access-Fachmagazin Translational Psychiatry wurden die Ergebnisse dieser weiterführenden Studie unlängst veröffentlicht.
Studie weist Zusammenhang zwischen Musikalität und Depressionen nach – doch Ergebnis sollte nicht auf Einzelpersonen bezogen werde
Was die Forscher betonen: Es handelt sich tatsächlich nur um einen kleinen Unterschied. Und die Forschung könne auch immer nur einen Durchschnitt ermitteln. Studienleiterin Mosing verdeutlicht, dass diese polygenetischen Scores nicht auf einem individuellen Level angewandt werden können. Es wird also davor gewarnt, das statistische Ergebnis auf Einzelpersonen anzuwenden.
Mosing könne nicht mit Sicherheit sagen, wenn sie etwa einen Musiker und einen Nichtmusiker nach dem Zufallsprinzip aussuche, dass der Erstere ein größeres Risiko habe, an einer Depression zu erkranken als der Letztere. „Das ist nur anwendbar auf der Ebene der Gesamtpopulation. Aber im Durchschnitt ist es tatsächlich so, dass Musikerinnen und Musiker ein leicht erhöhtes Risiko für Depressionen habe“, so die Wissenschaftlerin.
* Redaktionelle Anmerkung: Sollten Sie selbst unter Depressionen leiden oder Menschen kennen, die unter Selbstmordgedanken leiden, können Sie sich bei der Telefonseelsorge melden. Diese ist unter 0800/111-0-111 sowie 0800/111-0-222 zu erreichen. Die Online-Adresse lautet www.telefonseelsorge.de.