Omikron BQ.1.1 nimmt zu: Corona-Zahlen sinken aber – warum das so ist
Omikron BQ.1.1. zum Trotz: Die Coronazahlen gehen im Herbst zurück. Was die Gründe für den Abwärtstrend sein könnten und wie es im Winter weitergehen könnte.
Berlin – Alle Zeichen stehen auf Herbst: Die Blätter an den Bäumen verfärben sich und fallen herab, die Uhren wurden wieder einmal zurückgestellt, nur die Temperaturen tanzen derzeit aus der Reihe und sind für diese Jahreszeit viel zu mild. Das Gleiche gilt für die derzeitigen Coronazahlen, könnte man meinen. Entgegen aller Prognosen und der Tatsache, dass sich Omikron BQ.1.1 offenbar immer weiter breit macht, sinken sie nämlich gerade.
Und das, obwohl vielfach vor einer schweren Herbstwelle 2022 gewarnt wurde. Tatsächlich stiegen die gemeldeten Corona-Neuinfektionen im September auch steil an, was als eine sich aufbauende Welle gedeutet wurde, wie es auch im Herbst 2020 und 2021 der Fall war – und was jeweils bereits ab November zu verschärften Maßnahmen geführt hatte.
Und in diesem Jahr? Können wir uns entspannt zurücklehnen, weil das Schlimmste schon überstanden ist und die Welle bricht? Oder werden uns das Coronavirus und die Omikron-Variante BQ.1.1 oder am Ende sogar auch die Omikron-Subvariante XXB im Griff haben? Gesundheitsminister Karl Lauterbach warnt auch vor Omikron BA 4.6.
Corona im Herbst 2022: Warum die Zahlen trotz Omikron BQ1.1 derzeit wieder sinken
Tatsächlich ist es so, dass die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz seit dem 12. Oktober 2022 wieder heruntergeht. Da hatte sie auf dem vorläufigen Höhepunkt von 888 gelegen. Inzwischen ist sie überall unter den Wert von 500 gesunken, trotz der aktuellen hochansteckenden Omikron-Variante BA.5. Damit ist die Welle in diesem Jahr zwar sehr früh angestiegen, aber auch früh wieder abgeflacht. „Bei den Erkrankungszahlen durch Covid-19 deutet sich eine gewisse Entspannung an“, schreibt auch das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem Wochenbericht von Donnerstag, 27. Oktober 2022.
Corona-Herbstwelle 2022: Ist sie gebrochen? Das sagt Virologe Hendrik Streeck
Ist die Welle also gebrochen? Geht es nach Virologe Hendrik Streeck, dann braucht es trotz Omikron BQ.1.1 und anderer Varianten keine neuen Corona-Maßnahmen. Die Sommerwelle sei „von selbst entstanden und brach von selbst, ohne den Effekt von Maßnahmen“, sagte Streeck der Bild am Sonntag und erklärte zudem: „Maßnahmen können eine Corona-Welle verkleinern, aber nicht brechen.“
Viele fragen sich nun: Was ist da los? Kann man dem (vorläufigen) Frieden trauen? Der verzeichnete Rückgang der Infektionen sei echt, bestätigt Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität und am Helmholtz-Zentrum München, gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Auch die Positivquote unter allen durchgeführten Tests ginge zurück.

Das Abflachen sei nicht darauf zurückzuführen, dass weniger getestet werde, oder darauf, dass gerade Schulferien seien. Letzteres hatte nämlich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf Twitter nahegelegt – und dafür viel Kritik geerntet. Die Schulen würden mal wieder zum Sündenbock für die Coronazahlen gemacht – dabei hatten zu dem Zeitpunkt die Herbstferien in vielen Ländern noch gar nicht begonnen. Aber woran liegt es dann, dass die Zahlen sinken?
Corona-Herbstwelle 2022: Gewisse Grundimmunität durch zuletzt viele Ansteckungen
Laut Zeit sei dies auf einen „kurzen Moment der Herdenimmunität“ zurückzuführen – ein Effekt der zahlreichen Ansteckungen in den letzten Wochen. Da sich zuletzt viele Menschen mit dem Coronavirus infiziert hatten, sind sie nun für einen gewissen Zeitraum vor einer Neuerkrankung geschützt. „Jeder, der eine Infektion durchgemacht hat, hat auch wieder Schutz aufgebaut“, erklärt Ulrike Protzer gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Corona-Herbst 2022: Milde Temperaturen sorgen für weniger Erkrankungen – auch wenn Omikron BQ.1.1 auf dem Vormarsch ist
Ein weiterer Grund für die rückläufigen Zahlen ist wohl das derzeit milde Wetter. Im September hingegen, als die Zahlen schlagartig wieder anstiegen, war es wesentlich kälter und regnerischer als jetzt. „Die Menschen haben sich im September eher drinnen getroffen, jetzt gehen sie wieder mehr raus“, vermutet Protzer. Dazu komme, dass die Menschen vorsichtiger würden, sobald wieder mehr Menschen erkranken. Sie tragen dann verstärkt Maske und reduzieren freiwillig ihre Kontakte.
Corona im Herbst und Winter 2022: Karl Lauterbach erwartet „Marathon gegen das Virus“
Fakt ist jedoch: Es ist Herbst und die Rückkehr des Spätsommers ist zwar eine Wohltat – aber eben nur vorübergehend. Außerdem wird irgendwann überall der letzte Ferientag anbrechen und die Schule geht wieder los. Gesundheitsminister Karl Lauterbach rechnet daher auch nach den Ferien mit einem „Marathon gegen das Virus“, wie er bei Twitter schrieb. Eine dauerhafte Entspannung der Situation sieht er also nicht.
Wie hoch der Anstieg sein wird, lässt sich nicht vorhersagen. Er hängt stark von der Virusvariante und von unserem Verhalten ab
Genauso wenig wie das RKI: „Der Infektionsdruck ist jetzt im Herbst in allen Altersgruppen der Allgemeinbevölkerung hoch“, steht in dessen Wochenbericht. In den kommenden Wochen seien hohe Fallzahlen zu erwarten. Auch Hans-Georg Kräusslich, Direktor der Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg, rechnet mit einem Anstieg. „Wie hoch der sein wird, lässt sich nicht vorhersagen. Er hängt stark von der Virusvariante und von unserem Verhalten ab“, erklärt er in der Süddeutschen.
Corona im Herbst und Winter 2022: Omikron BA.5 könnte bald schon von BQ.1.1 oder Omikron XBB verdrängt werden
Hinsichtlich der Variante ist es derzeit noch so, dass nach wie vor Omikron BA.5 beziehungsweise Unterformen dieser Mutation vorherrschen. Andere Varianten konnten sich bislang noch nicht durchsetzen. Doch die neue Omikron-Variante BQ.1.1. verbreitet sich derzeit rasend schnell und wird von Experten mit wachsender Besorgnis beobachtet, genau wie dessen Schwesterlinie XBB. Viele Epidemiologen vermuten, dass diese Variante, die in den USA bereits für steigende Zahlen sorgt, noch vor Ende November zu einer erneuten Welle führen wird.
Omikron BQ.1.1 und XBB zeichnen sich durch hohe Immunflucht aus
Der deutsche Charité-Impfstoffforscher Leif Sander glaubt laut der Augsburger Allgemeinen, dass in den nächsten Wochen „BQ.1.1 die verbreitetste Variante werden und BA.5 verdrängen“ könnte. Das Gemeine an dieser Variante ist: Sie entgeht einem bestehenden Immunschutz noch besser als die Varianten davor.
Ob sie aber auch stärker krankmacht, ist derzeit noch nicht klar. Laut Virologin Protzer sei BQ.1.1. nicht unbedint ein neues „Problemvirus“, denn es sei nicht im Interesse eines Virus, dass die Menschen kränker werden. Denn dann bleiben sie im Bett und stecken weniger Leute an. An der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurden derweil drei verschiedene Modelle entwickelt, womit in diesem Winter 2022 hinsichtlich der Corona-Pandemie gerechnet werden kann.
Corona im Winter 2022: Drei mögliche Szenarien – mit unterschiedlichen Schweregraden
Das erste Szenario ist das denkbar günstigste: In diesem Fall würde keine neue Virusvariante auftreten und die Krankenhäuser würden nicht übermäßig belastet. Im zweiten Szenario, dem mittelschweren, würde eine Variante hinzukommen, die den Immunschutz zwar umgeht, aber die kein höheres Risiko für schwere Verläufe hat. Laut Berechnungen würde dies zu einer Belastung des Gesundheitssystems führen, die im Bereich der Omikron-Welle Anfang 2022 liegt. Das dritte Szenario wäre das denkbar ungünstigste – doch im Sinne der Virusevolution ist dies wohl auch die weniger wahrscheinliche.
Hier würde sich eine Variante entwickeln, die den Immunschutz umgeht und zusätzlich für schwere Verläufe sorgt, ähnlich wie die der Delta-Variante in 2021. Dann könnten die bisher erreichten Spitzenwerte der Krankenhausbelastung deutlich überschritten werden und es könnte der Kollaps der Kliniken drohen. Und so lautet auch im Hinblick auf Omikron BQ.1.1. und XBB und BA.2.75 wieder das oberste Gebot: Entwicklung und Ausbreitung dieser Varianten müssen beobachtet werden, um entsprechend reagieren und schnell entsprechende Maßnahmen, wie eine Maskenpflicht in Innenräumen, einleiten zu können.