Corona aus „virologischer Sicht“ vorbei – welches Restrisiko dennoch bleibt

Für den Virologen Hendrik Streeck ist Corona aus „virologischer Sicht“ vorbei. Und doch besteht 2023 ein Pandemie-Restrisiko. Ein Ausblick.
Berlin – Auch, wenn es all die Lockerungen nicht vermuten lassen: Das Coronavirus ist auch 2023 noch immer präsent. Es hat sich nicht verflüchtigt, sondern ist laut dem Virologen Christian Drosten aus der Pandemie längst eine Endemie geworden. Damit ist gemeint, dass es künftig nur noch in bestimmten, räumlich abgegrenzten Umgebungen auftreten wird. Vor allem im Herbst und im Winter, der großen Erkältungszeit.
Sein Kollege Hendrik Streeck kann dem nur beipflichten. Für ihn ist die Pandemie aus „virologischer Sicht“ vorüber. Streeck sieht „keinen Grund mehr“ für eine Corona-„Sonderstellung“. Und auch generell sind sich Experten einig, dass 2023, das nunmehr vierte Jahr mit dem Coronavirus, besser werden könnte als die Jahre zuvor. Das ist jedoch mit einer Bedingung beziehungsweise einem Restrisiko verknüpft.
Corona aktuell: Pandemie wird in Deutschland laut Experten zur Endemie – und Erreger zur „regulären Plage“
„Wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-CoV-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei“, fand Virologe Christian Drosten im Gespräch mit dem Tagesspiegel deutliche Worte. Eine Aussage, die auf dem Fakt fußt, dass ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland längst eine robuste Immunität gegen das Coronavirus aufgebaut hat.
„Das bedeutet nicht, dass man sich nicht mehr anstecken kann oder die Infektion unbemerkt abliefe“, so der Virologe Marco Binder gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Dafür hätte es zur Folge, „dass es in den meisten Fällen keine wirklich ernsten Krankheitsverläufe mehr gibt, die eine ärztliche Behandlung erforderlich machen würden“. Sars-CoV-2 werde als endemischer Erreger zu einer „regulären Plage“.
Corona in Deutschland auch 2023 präsent – Evolution vom Virus muss genau beobachtet werden
Zwar wird das Coronavirus nicht verschwinden, dafür aber „nur“ zeitlich begrenzt in der Bevölkerung zirkulieren. „Im Frühjahr und Sommer dürfte uns das Virus keine nennenswerten Probleme mehr bereiten, und selbst im Herbst und Winter rechne ich nicht mehr mit Bedingungen, die breit angelegte Eindämmungsmaßnahmen erfordern würden“, ordnet Binder ein. Und saisonale Infektionswellen seien auch von anderen Atemwegskrankheiten wie der Grippe bekannt.
Ein Restrisiko in Bezug auf Corona, das auch 2023 noch Regeln erforderlich macht, ist aber nach wie vor gegeben. Hiermit ist die Evolution vom Virus gemeint. Denn auch nach drei Pandemie-Jahren bleibt die Entwicklung der Erreger noch immer ein großes Rätsel. Notwendigerweise werden Experten die Entwicklung vom Coronavirus mithilfe von Probensequenzierungen weiterhin genau verfolgen. Auf diesem Wege können potenziell gefährliche Varianten bestenfalls schon früh erkannt werden.
China ist wieder Corona-Hotspot – und Deutschland muss „neue Infektionswellen“ vermeiden
Bei diesem Prozedere ist der Blick vor allem nach China gerichtet. Die Volksrepublik wähnte sich auf der sicheren Seite und verabschiedete sich im Rahmen der Null-Covid-Politik von Lockdowns, Quarantäne und täglichen Corona-Tests. Das böse Erwachen kam in Form von BF.7 schnell. Allein in den ersten drei Dezemberwochen 2022 sollen sich fast 250 Millionen Chinesen mit dem Virus infiziert haben. Zudem sind die Krankenhäuser überfüllt, es fehlen Medikamente – und China wird wieder zum Corona-Hotspot.
„Aufgrund des extrem hohen Infektionsgeschehens birgt dies die Gefahr, dass neue Varianten auftreten, die auch uns wieder gefährlich werden könnten“, warnt Reinhold Förster, Immunologe von der Medizinischen Hochschule Hannover. Je mehr Menschen sich mit dem Coronavirus infizieren, desto mehr Möglichkeiten gibt es auch für Mutationen. Corona-Zustände wie in China sollen in Deutschland natürlich tunlichst vermieden werden. Denn bei einer Virusvariante, welche die Immunantworten, wie von Streck beschrieben, drastisch unterlaufen kann, „besteht die Gefahr, dass es auch bei uns zu neuen Infektionswellen kommt“. Doch sei das bisher „eher unwahrscheinlich als wahrscheinlich“.