„Werder muss in der Lage sein, an einem europäischen Platz zu kratzen“

Bremen - Turbulente Monate liegen hinter Thomas Eichin: Erst der Abstiegskampf, dann der Neuaufbau – Werder Bremens Geschäftsführer hat in seinem ersten Dreivierteljahr an der Weser viel erlebt. Und den Club schon ein Stück weit geprägt.
Der ehemalige Eishockey-Manager der Kölner Haie hat Robin Dutt als Trainer geholt, und der Mannschaft ein anderes Gesicht verpasst. Ob Eichin damit zufrieden ist, und was er mit Werder noch vorhat, verrät der 47-jährige Ex-Profi von Borussia Mönchengladbach im Interview.
Herr Eichin, im Eishockey heißt es, der Blick auf die Tabelle macht erst nach 20 Spielen (von 52, Anm. d. Red.) Sinn. Wie handhaben Sie das beim Fußball?
Thomas Eichin: Im Eishockey ist die Tabelle fast nie aussagekräftig, weil die Clubs meistens unterschiedlich viele Spiele absolviert haben. Aber wenn die Kölner Haie Erster sind, dann passt das natürlich (lacht). Man muss immer aufpassen beim Bewerten einer Tabelle – gerade im Fußball. Nur weil Santiago Garcia in der 86. Minute das 3:2 gegen Hannover schießt und wir auf einmal fünf Plätze hochrutschen, ist nicht alles super. Man muss die Tabelle realistisch bewerten.
Nur zu!
Eichin: Ich will gar nicht die ganze Tabelle bewerten. Wir liegen im Mittelfeld, dort wo wir uns für diesen Zeitpunkt eingeschätzt hatten. Auch die Punkteausbeute ist in Ordnung. Was aber noch viel wichtiger ist, dass ich Spieltag für Spieltag Fortschritte erkenne.
Was macht die Mannschaft anders als in der völlig verkorksten Rückrunde?
Eichin: Ich werde das nicht vergleichen. Bei mir hat mit dem Trainerwechsel eine neue Zeitrechnung begonnen.
Was macht Ihnen an Ihrer Mannschaft am meisten Spaß?
Eichin: Die Mannschaft hat einen guten Charakter. Jeder ist positiv gestimmt und ordnet sich den Zielen unter. Deshalb kommen wir auch nach Rückschlägen zurück. Mannschaft und Trainerteam bilden eine Einheit, das merkt man an vielen Kleinigkeiten.
An welchen?
Eichin: Die Mannschaft lässt sich nicht auseinanderdividieren, kritisiert sich öffentlich nicht persönlich. Auf dem Trainingsplatz und in der Kabine ist keiner außen vor. Und wer gerade mal nicht spielt, der motzt nicht rum, sondern trainiert weiter gut. Wenn du einen Teamgeist hast, mit dem du immer noch ein paar Berge mehr versetzen kannst, dann bringt das einige Punkte.
Schalke hat auch dank der Extraklasse von Kevin-Prince Boateng gewonnen. Vermissen Sie so einen Spieler in Ihrem Kader?
Eichin: Wir haben auch sehr gute Spieler, die Partien entscheiden können. Ich sehe in unserer Mannschaft viele, die Fortschritte machen. Nehmen wir einen Felix Kroos. Den hatte doch letzte Saison noch keiner auf dem Papier.
Macht Sie die Personalie Felix Kroos ein Stück weit stolz, weil Sie sich im Frühjahr – zur Überraschung vieler – für eine Vertragsverlängerung entschieden hatten?
Eichin: Ja klar. Ich wollte dem neuen Trainer die Möglichkeit geben, sich Felix anzugucken. Mir war klar, dass Felix einen Weg in die Mannschaft finden würde.
Sie haben stets betont, dass Sie mehrere Transferperioden benötigen, um Ihren Kader zusammenzustellen. Wie wichtig wird dabei das Transferfenster im Januar?
Eichin: Das kann wichtig werden. Das liegt an der Entwicklung der Mannschaft – und daran, ob sich noch Spieler verletzen. Wir sind auf jeden Fall vorbereitet und sondieren auf allen Positionen den Markt.
Gilt wieder die Maxime: Erst Spieler verkaufen, um sich neue leisten zu können?
Eichin: Das weiß ich jetzt noch nicht. Aber für den einen oder anderen müssen wir im Winter schon mal sehen, was sinnvoll ist. Sicher wird es auch diesmal Spieler geben, für die eine Ausleihe mit der damit verbundenen Spielpraxis sinnvoll wäre.
Was ist mit Mehmet Ekici?
Eichin: Er hat diese Saison sehr gut angefangen, hat gespielt. Zuletzt kam er nicht mehr so zum Einsatz. Er ist ein wichtiger Spieler in unserem Team, ein Kreativspieler, den du brauchst. Memo muss dran bleiben, dann wird er seine Chance bekommen.
Ist Mehmet Ekici ein Verkaufskandidat?
Eichin: Nein. Die Saison ist lang. Er ist ein Kreativspieler, den du brauchst. Genauso, wie wir einen Aleksandar Ignjovski brauchen, wenn Spiele kommen, wo es vor allem über die Zweikämpfe geht.
Ignjovskis Vertrag läuft im Sommer aus, werden Sie ihn verlängern?
Immer ganz nah bei den Spielern: Sportchef Thomas Eichin baut Zlatko Junuzovic auf.Eichin: Wir haben schon gesprochen. Bei ihm und bei uns ist die grundsätzliche Bereitschaft da weiterzumachen. Aber er möchte natürlich mehr spielen als jetzt. Da müssen wir einfach mal abwarten. Auch Niclas Füllkrug wollte unbedingt mehr Einsatzzeiten. Er wäre unzufrieden geworden – deshalb haben wir ihn ausgeliehen, damit er sich in der Zweiten Liga durchbeißt. Dafür geben wir jetzt einem wie Davie Selke die Chance, der total heiß darauf ist, sich über den Kaderplatz bei den Profis weiterzuentwickeln. Das gilt auch für Melvin Lorenzen oder Martin Kobylanski. So habe ich hoffentlich irgendwann mal einen Haufen von neuen, jungen Spielern, die über ein gewisses Level verfügen. Und dann habe ich die Qual der Wahl.

Sie haben im Sommer mit Caldirola, Garcia und Di Santo Spieler geholt, die kaum einer auf dem Zettel hatte. Haben Sie bereits ähnliche Überraschungen im Visier?
Eichin: Das bleibt weiter unser Stil. Ich muss mich gar nicht erst um die Spieler kümmern, über die überall schon groß und breit berichtet wird. Die können wir uns nicht leisten.
Also bleiben Sie in der Länderspielpause in Bremen, weil Nationalspieler für Werder unbezahlbar sind?
Eichin: Ach, es gibt so viele Länder mit guten und gar nicht so teuren Nationalspielern. Natürlich sind wir unterwegs, es gibt immer etwas zu gucken.
Und dabei lernen Sie dann ganz neue Länder kennen…
Eichin: Ja, manchmal. Aber welche, das werde ich nicht verraten.
Wie wichtig ist Asien?
Eichin: In Fernost gucken wir, da gibt es perspektivisch schon den einen oder anderen. Aber wir sind eher in Europa unterwegs.
Und verpflichten dann dort die beiden Argentinier Garcia und Di Santo.
Eichin: Aus Argentinien hätte ich sie nicht geholt. Mir war wichtig, dass sie die europäische Mentalität kennen. Außerdem wäre das Scouting in Argentinien schwieriger gewesen – und der Vertragsabschluss sicher auch. Ich habe eben noch keine fünf Transfers aus Südamerika gemacht.
Sie sprechen Ihre Unerfahrenheit an: Wie haben Sie die Umstellung vom Eishockey zurück zum Fußball hinbekommen?
Eichin: Ich habe doch nicht 14 Jahre in der Eishalle gesessen. Ich habe in der Zeit auch zig Fußball-Spiele geguckt, und nicht nur Champions League. Ich weiß, wie die ersten drei Ligen in Deutschland funktionieren. Deshalb hatte ich keine Angst davor, mit dem vorhandenen Team um Sportdirektor Frank Baumann den Markt zu beurteilen. Ich habe auch eine klare Vorstellung von Spielertypen, die ich bevorzuge, da lasse ich mich nicht beirren. Ich denke schon, dass ich im Fußball angekommen bin.
Was war dabei besonders schwierig?
Eichin: Die viel, viel stärkere mediale Belastung – nicht nur vom Zeitaufwand her. Du musst auch die Stimmungslage immer richtig einordnen. Das habe ich am Anfang etwas unterschätzt. Es ist unglaublich, wie extrem eine Niederlage im Fußball bewertet wird – genauso wie ein Sieg. Damit musst du erst einmal klarkommen.
Würden Sie gerne etwas vom Eishockey zum Fußball transportieren?
Eichin: Das ist schwierig. Vielleicht wäre eine einminütige Auszeit für die Trainer pro Halbzeit nicht schlecht. Aber mal etwas Grundsätzliches: Der Fußball sollte sich nicht immer als Maß aller Dinge bewertet werden. Auch in anderen Sportarten werden posoitve Dinge umgesetzt, die man sich näher anschauen kann.
Haben Sie Werder in den neun Monaten so kennengelernt, wie Sie sich das vorgestellt hatten?
Eichin: Im Prinzip ja. Die Wege im Verein sind kurz, es ist familiär, obwohl der Club so groß ist. Die Tradition und die Erfolge sind natürlich eine Bürde, aber auch ein Ansporn für mich.
Wo wollen Sie mit Werder hin?
Eichin: Mittelfristig muss Werder aufgrund seiner Tradition, seiner Nachwuchsarbeit und seines Stellenwerts in der Lage sein, immer an einem europäischen Platz zu kratzen.
Sind Werder da nicht zu viele Clubs finanziell zu weit enteilt?
Eichin: Natürlich sind uns umsatztechnisch einige Clubs weit voraus. Aber dann müssen wir eben andere Wege gehen und mit einer jungen, hungrigen und dynamischen Mannschaft und großer Identifikation diese Dinge wettmachen. Okay, damit bist du nicht immer automatisch unter den ersten Fünf. Aber wir sollten zukünftig immer einen einstelligen Tabellenplatz als klares Ziel definieren. Und dann kannst du mit Können und ein bisschen Glück auch mal auf Platz fünf oder sechs springen. kni