Ein emotionaler Achttausender

Bremen - Der gefürchtete Tag naht. Schon am Samstag ist es für Andreas Wolf so weit. Dann muss er sich einer Herausforderung stellen, die ihm einst riesig erschien, vor der er sich am liebsten gedrückt hätte.
„Ich kann und möchte mir irgendwie gar nicht vorstellen, gegen Euch und „meinen Club“ zu spielen“, hatte der Verteidiger Ende Mai in einem Offenen Brief an die Fans des 1. FC Nürnberg geschrieben. Es war sein Abschiedsgruß nach 14 Jahren im „Club“-Trikot.
Jetzt kehrt er zum ersten Mal als Gast nach Nürnberg zurück. Und das Unvorstellbare wird Realität. Wolf, der sich im Frühsommer nicht mit dem Verein über eine Vertragsverlängerung einigen konnte und schließlich bei Werder Bremen bis 2013 unterschrieb, weiß, dass da einiges auf ihn zukommt. Es ist ein Gefühlsberg der Superlative, ein emotionaler Achttausender, den der Verteidiger zu besteigen hat. „Ich möchte keinen einzigen Tag, den ich beim 1. FC Nürnberg verbracht habe, missen. Es waren schöne Jahre“, erklärt der Innenverteidiger: „Meine Familie und alle meine Freunde kommen aus Nürnberg oder der Umgebung. Viele davon sind am Samstag live dabei.“ Und er muss gewissermaßen gegen sie alle spielen.
Training am Mittwoch
Wat mutt, dat mutt – sagt der Norddeutsche dazu. Der Franke Wolf hat diese Haltung nach nur wenigen Wochen schon übernommen und begegnet den fraglos vorhandenen Sentimentalitäten mit Professionalität: „Ich spiele jetzt für Werder, fühle mich hier sehr wohl und werde alles dafür geben, dass wir die drei Punkte mitnehmen.“
So soll‘s sein. Gleichwohl gibt es die besonderen Begleitumstände, die Wolf nicht so einfach wegdrücken kann. Denn vor dem Spiel wird er offiziell vom 1. FC Nürnberg verabschiedet. Aber nicht im Vorübergehen, sondern mit ein bisschen Brimborium. Der „Club“ plant, die Teams etwas früher als sonst aufs Feld zu führen, auf den Videowänden soll ein eigens für Wolf zusammengestellter Film mit seinen schönsten Szenen laufen. Eine Andreas-Wolf-Edition des Stadionmagazins ist schon gedruckt, die üblichen Blumen sowie eine Collage mit Wolf-Fotos gibt’s dazu. Und natürlich der Applaus der Fans, die ihren Kapitän aufrichtig verehrt haben. Und Wolf die Fans: „Ich freue mich auf die Stimmung im Stadion. Endlich habe ich die Gelegenheit, mich richtig zu verabschieden.“
Im Sommer kam es nicht dazu. „Wir wussten damals ja nicht, wie es weitergeht“, sagt FCN-Manager Martin Bader. Die Personalie Wolf war eine Hängepartie, Spieler und Verein pokerten um einen neuen Vertrag. Die Atmosphäre war gereizt. Deshalb verfasste Andreas Wolf später den Offenen Brief, der trotz des Scheiterns der Verhandlungen eine Art Liebeserklärung für den „Club“ war. Ein Zitat: „Der Club war MEIN Verein, seit ich in den 90ern zum ersten Mal mit meinen Kumpels in der Nordkurve gestanden bin, und er wird auch immer ein Teil von mir bleiben. Für mich wird es wohl nie mehr das Gleiche geben.“
Gewiss, als er diese Zeilen verfasste, hatte Andreas Wolf noch keinen neuen Verein. Als Werderaner hört sich das schon wieder etwas anders an. 14 Jahre wird er zwar garantiert nicht noch einmal für einen Club spielen. Aber Bremen ist für ihn nicht nur Gegenwart, sondern auch Zukunft. „Ich habe nicht vor, noch mal woanders hinzugehen. Ich will bis zum Karriereende hier spielen. Ich bin kein Profi, der durch die Welt wandert“, erklärte Wolf gestern gegenüber „Radio Bremen“. · csa/mr