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Rotenburger Ärzte schlagen Alarm

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Von: Michael Krüger

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Die Rotenburger Ärzte kritisieren die Untätigkeit des Landes bei der Aufklärung.
Die Rotenburger Ärzte kritisieren die Untätigkeit des Landes bei der Aufklärung. © Krüger

Rotenburg - Von Michael Krüger. Ein großer Teil der Rotenburger Ärzteschaft fordert mehr Engagement der Landesregierung bei der Suche nach den Ursachen für die erhöhten Krebszahlen in Bothel und Rotenburg. Im September 2014 waren die ersten Ergebnisse bekannt geworden. Seitdem wird gerätselt, ob es Zusammenhänge mit der Erdgasförderung in der Region gibt. Die Ärzte wollen sich nicht an Spekulationen beteiligen, fordern stattdessen mehr Geld – zur Aufklärung ihrer Patienten.

Insgesamt 212 Ärzte des Diakonieklinikums, Hausärzte und Fachärzte aus dem Rotenburger Raum haben einen offenen Brief der Regionalgruppe der IPPNW (Ärzte in sozialer Verantwortung) an Niedersachsens Sozial- und Gesundheitsministerin Cornelia Rundt unterschrieben. Dieser sollte der aus Walsrode stammenden SPD-Politikerin persönlich übergeben werden, doch dazu sei es bislang nicht gekommen, kritisieren die IPPNW-Vertreter jetzt. Trotz mehrfachen Bittens sei es zu keinem persönlichen Gespräch gekommen. „Wir sind damit gescheitert“, sagt Chirurg Michael Schulte, Ärztlicher Direktor des Diakos.

Die Forderung an Rundt ist eindeutig: „Die Ursache der Häufung dieser Krebserkrankungen ist bisher nicht bekannt. Wir wenden uns deshalb jetzt mit der dringenden Bitte an Sie, die Ursachenforschung durch die rasche Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel für die unbedingt notwendigen wissenschaftlichen Untersuchungen sicherzustellen“, heißt es in dem Brief. Nach Schultes Angaben sei es nicht ausreichend, das lokale Gesundheitsamt mit der Aufgabe zu betreuen.

Die Befragung aller erwachsenen Botheler, deren Auswertung noch nicht vorliegt, und die Einzelbefragung Betroffener in Rotenburg, die nun angeschoben wurde, sei keine Ursachenforschung. Schulte: „Wir brauchen eine tiefgehende Krebsclusteranalyse, wie es sie zum Beispiel in der Elbmarsch gegeben hat.“ Kinderarzt Christoph Dembowski: „Diese Ursachenklärung können wir nicht weiter auf die lange Bank schieben.“ Da Eile und Sorgfalt geboten seien, müssten Mittel und Personal bereitgestellt werden vom Land. „Objektivität kostet Geld“, so Dembowski.

Für die Ärzteschaft sei das Problem auch vor allem deshalb ein dringendes, weil sie vielen Fragen nicht begegnen kann. „Wir verstehen uns nicht als politische Lobbyisten, sondern als Anwälte unserer Patienten, die angesichts der gehäuften Krebserkrankungen von uns Antworten zu den medizinischen Zusammenhängen, aber auch zum Umgang der Politik mit der dringend notwendigen Ursachenanalyse erwarten“, heißt es im Schriftverkehr mit der Ministerin. Rundt hat die Rotenburger Ärzte zwar nicht persönlich getroffen, sich aber in einem Brief geäußert.

Anfang Dezember beteuerte sie darin, die Landesregierung und ihr Ministerium würden alles dafür tun, um bei der Ursachensuche zu helfen. Auch dem Verdacht eines Zusammenhangs mit der Erdgasförderung gehe man nach. Aber: „Insgesamt gesehen ist derzeit leider noch kein erfolgsversprechender Untersuchungsansatz für eine bevölkerungsbezogene Studie zu möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Wohnbevölkerung in der Nähe zu Erdöl-/Erdgasförderanlagen erkennbar.“ Zum weiteren Vorgehen heißt es vom Ministerium: „Zuletzt hat das Niedersächsische Gesundheitsministerium den Auftrag für eine Arbeit zur Auswertung von vorhandener Literatur zu den Risikofaktoren des Multiplen Myeloms vergeben. Die eingesetzten Experten haben nun ein halbes Jahr Zeit, Ergebnisse zu erarbeiten und dann zu präsentieren. Parallel dazu wird auch die Ursachenforschung des hier federführenden Landkreises über die Bevölkerungsbefragung abgeschlossen sein. Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt hat sich bereit erklärt, die Ergebnisse zu vergleichen. Gesundheitsministerin Rundt: ‚Auf diesen Ergebnissen können wir dann die nächsten Untersuchungsschritte aufbauen.‘ Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt (NLGA) steht dem Landkreis bereits von Anfang an intensiv beratend und unterstützend beiseite. Das NLGA arbeitet auch aktiv in dem auf kommunaler Ebene bestehenden Arbeitskreis mit. Zur Problematik der Krebserhöhung haben auf kommunaler Ebene diverse Informationsveranstaltungen unter Beteiligung des Landes stattgefunden (...). Sie sind eine Plattform, um weitere Lösungsvorschläge direkt zu übermitteln. Auch das Landesbergamt stellt im Rahmen der Ermittlung der möglichen Ursachen der Krebsneuerkrankungen den Gesundheitsbehörden alle Informationen zur Erdgasförderung in der Region Rotenburg zur Verfügung. Die aktuellen Bodenuntersuchungen im Umfeld niedersächsischer Erdgasförderplatze (...) sowie die Ergebnisse von Langzeitimmissionsmessungen im Raum Söhlingen können dabei hilfreiche Erkenntnisse liefern.“

Die Kreisverwaltung indes lobt die Zusammenarbeit mit Hannover. Die Verzögerungen bei den Befragungen seien zudem dem enormen Arbeitspensum in der „nicht vorhersehbaren Situation mit den Flüchtlingen“ geschuldet, heißt es in einer Mitteilung. Gesundheitsamtsleiter Frank Stümpel appelliert an die Kollegen, nicht nur zu kritisieren, sondern zu helfen: „Wir freuen uns über jeden Arzt, der uns beim Thema Flüchtlinge unterstützt und unsere Mitarbeiter entlastet. Diese können sich dann wieder intensiv dem Thema Krebsregister widmen.“

Von den Rotenburger IPPNW-Vertretern heißt es, sie seien bei der Aufklärung der Problematik von den Behörden enttäuscht. Selbst die Aufdeckung lag demnach zunächst in den Händen von Bürgerinitiativen: „Der Staat hat versagt“, kritisiert Paul-Matthias Bantz, Betriebsarzt des Diakonieklinikums. Und auch wenn man sich nicht an Spekulationen zu Ursachen beteiligen wolle, so stehe laut Schulte doch fest: „Aus Erfahrung können wir sagen, dass zivilisatorische Einflüsse wie Strahlung oder Umweltverschmutzung viel wahrscheinlicher sind.“

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