Bürger politisieren sich

Rotenburg - Von Ulla Heyne. „Fracking, nein danke! Wir wollen Euren Dreck nicht!“ Nur vereinzelt machten die Teilnehmer einer Demonstration gegen Fracking, Erdölbohrungen sowie das Abfackeln von Gasförderleitungen am Sonnabend in Rotenburg mit Rufen und Trillerpfeifen akustisch auf ihr Anliegen aufmerksam.
Optisch ist der Zug durch die Innenstadt allerdings kaum zu übersehen; mit Bannern und Schildern wie „Hände weg vom Grundwasser“ oder „14.000 Bohrlöcher sind genug“ machten zahlreiche Bürger aus dem gesamten Landkreis ihrem Unmut Luft.
Fünf regionale Bürgerinitiativen hatten im Schulterschluss zum gemeinsamen Marsch durch die Rotenburger Innenstadt mit anschließender Kundgebung aufgerufen Mit knapp 200 Teilnehmern übertraf die Demonstration Erdölbohrungen im Landkreis die Erwartungen der Organisatoren, angemeldet waren nur 50. Der zweite Polizeiwagen, den Einsatzleiter Joachim Jahnke zur Verstärkung gerufen hat, diente lediglich der Verkehrsabsicherung: „Hier ist ja alles entspannt und friedlich“, fasste Jahnke den eineinhalbstündigen Protestmarsch mit anschließender Kundgebung auf dem Neuen Markt zusammen. Dort brachten Vertreter der Bürgerinitiative für Gesundheit in Söhlingen/Hemslingen in ihren Reden die Forderungen auf den Punkt: „Ich habe in den vergangenen Jahren acht Freunde beerdigt, die an Krebs gestorben sind. Solange nicht geklärt ist, woher die Krebsfälle kommen, darf nicht weiter gefrackt werden!“, so die Hemslingerin Silke Döbel.
Mitstreiterin Sabine Holsten ergänzte: „Selbst wenn die Gasförderung eingestellt wird, werden wir noch lange mit den alten Bohrstellen zu tun haben!“ Wie viele dies im Landkreis sind, war zuvor von Hartmut Horn von der Interessengemeinschaft „Frackloses Gasbohren“ verdeutlicht worden. Als Exxon-Vertreter verkleidet, begleitete er seine symbolträchtigen Bohrungen auf einer Landkarte des Landkreises mit ebenso kundigen wie polarisierenden Kommentaren: „In Hemsbünde bohre ich noch tiefer - das ist eine besonders schlimme Stelle.“
Mit-Initiatorin Silke Döbel wertete die Demonstration als Erfolg: „Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Menschen kommen.“ Angesichts von Umweltschäden und gesundheitlichen Bedrohungen würden viele Bürger aktiv, die sich vorher noch nie politisch engagiert hätten. Ihr Traum: „Hoffentlich treten davon viele in Bürgerinitiativen ein.“ Rotenburgs Bürgermeister Andreas Weber befürwortete in seiner Ansprache das Engagement der Bürger. Angesichts von Erdstößen, Bohrschlamm und krebserregenden Giften begrüßte er den Dialog mit dem niedersächsischen Innenminister Olaf Lies.
Als er dessen Antworten auf die Forderungen einiger Bürgermeister nach Beweislastumkehr bei Schäden, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Luftmonitoring und dessen Versprechen nach mehr Bürgerbeteiligung erwähnte, erntete er Zwischenrufe: „Wir wollen überhaupt kein Fracking!“