Den Menschen hinter dem Straftäter sehen

Nienburg - Von Vivian Krause. Ein Häftling und ein Polizeibeamter unterhalten sich über das Leben im Gefängnis. Klingt wie der Beginn eines schlechtes Witzes – ist aber Realität. Und zwar beim Pilotprojekt „crimeic – Onlinebegleiter im Strafvollzug“ von Peter Lutz Kalmbach und Tim Krenzel.
Das Projekt bietet Inhaftierten der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wolfenbüttel die Möglichkeit, mittels einer gesicherten Plattform mit ehrenamtlichen Begleitern der Polizeiakademie Niedersachsen Kontakt zu haben. Die Voraussetzung: Datensicherheit.
Polizei und Knast – wie soll das funktionieren? Diese Frage stellte sich auch Jennifer Krüger (Name von der Redaktion geändert), Studentin an der Polizeiakademie Nienburg und damit neben Hannoversch Münden und Oldenburg einer von drei Standorten, die an diesem Pilotprojekt mitwirken. Im September präsentierte Prof. Dr. Daniela Klimke, die am Studienort Nienburg die Fächer Kriminologie und Kriminalistik unterrichtet, den Studenten das Projekt.
Ein Ehrenamt neben dem Studium? Für Jennifer gab es keinen Grund zu zögern und so bewarb sie sich mit neun anderen Begleitern für dieses einzigartige Projekt. Denn: „Man hat sonst nie die Möglichkeit mit einem Inhaftierten zu sprechen“, so Jennifer.
Nach einer Auftaktveranstaltung mit allen Verantwortlichen, unter anderem mit den Projektinitiatoren Kalmbach und Krenzel, Studenten des berufsbegleitenden Studiums Kriminologie am Institut für kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg, konnte es losgehen.
Kommuniziert wird über die Plattform „crimeic“, bei der es nach dem Login einen Nachrichtenbereich gibt. „Das ist wie ein ganz simples E-Mail-Programm“, so Kalmbach. Die Häftlinge selbst haben in der JVA einen Computerraum, den können sie an bestimmten Tagen mit einer Fachaufsicht nutzen.
Das durch Film und Fernsehen verzerrte, eindimensionale Bild von Verbrechern und dem Knastleben würde durch dieses Projekt in ein neues, vielleicht auch realistischeres Licht gestellt, so Jennifer. Die Person hinter dem Inhaftierten wird sichtbar, „das sind auch nur Menschen wie du und ich“. Andersrum ebenso: Der Klient merkt, dass auch Polizisten keineswegs die vermeintlich Bösen sind und „nur ihren Job machen“.
„Mein Klient schreibt oft und lange E-Mails“
Seit dem 6. November hat sie mit einem „Klienten“ Kontakt. Bei Jennifer seien das alle zwei Tage rund 30 Minuten, die sie in das Lesen und Schreiben investiert. „Mein Klient schreibt ziemlich oft, auch mehrmals in der Woche, und auch lange E-Mails“, sagt die Studentin. Das sei bei jedem der zehn Teilnehmer unterschiedlich.
Das Ziel des Projekts ist, dass der Inhaftierte die Möglichkeit hat, „seriös zu kommunizieren und resozialisiert zu werden“, so Kalmbach.
„Die sprechen mir gegenüber vielleicht andere Dinge an, als bei der Familie“, sagt Jennifer. Die Distanz beim E-Mail-Kontakt sei positiv, dennoch meint die Studentin: „Ich würde meinem Klienten gerne mal gegenüberstehen, Gestik und Mimik sehen.“
Manche Teilnehmer seien mit ihren Klienten womöglich noch nicht so weit, wie Jennifer mit ihrem: „Wir haben angefangen, uns vorzustellen, dann hat der Klient mir erzählt, wann er geboren wurde, seine Familienumstände, woher er kommt.“ Auch hat der Inhaftierte die Hintergründe seiner Haft erläutert und „ein paar Geschichten aus dem Knastalltag“ erzählt.
Andersrum stelle der Häftling auch Fragen, warum Jennifer bei der Polizei sei, was sie lerne. „Er kann mich im Endeffekt fragen, was er will, aber ob ich antworte, lege ich für mich selber fest“, so die Studentin. Einmal kam die Frage auf, ob es für Jennifer nicht komisch sei, mit einem Straftäter über Moral zu reden – das war es nicht: „Einerseits ist es beruflich total interessant, manchmal empfinde ich dann aber auch Empathie und Mitleid mit dem Menschen.“
Vorteile des Projekts aus der Sicht der Studentin sind die Einblicke in das Gefängnis-Leben, die Person von einer anderen Seite kennenzulernen und ein anderes Bild eines Straftäters zu bekommen – „es ist trotzdem noch ein Mensch“, betont sie immer wieder.
Die Pilotphase läuft bis Januar. „Ich glaube, dass das Projekt menschlich und beruflich sehr vielen was bringen würde“, fasst Jennifer zusammen. Auch Kalmbach spricht sich deutlich für das weitere Bestehen aus. „Beide Seiten sind mit Freude dabei“, so der 39-Jährige. Manche Häftlinge schreiben die E-Mails sogar auf Papier in der Zelle vor, bevor sie in den PC-Raum gehen.
Nahtlose Fortsetzung des Projekt wünschenswert
Um das Projekt fortführen zu können, würden sich die Projektleiter über interessierte Schreiber, Organisatoren und Förderer freuen. Die Vorbereitungen zu dieser Masterabschlussarbeit kostete die beiden sechs Monate. Der Hintergrund sind die Fragen: Ist diese Art der Kommunikation überhaupt machbar und haben die Beteiligten Interesse an so einem Projekt? Der Wunsch der Initiatoren nach einer „nahtlosen Fortsetzung“ spricht als Antwort für sich.
Weitere Informationen zum Projekt gibt es online.