1. Startseite
  2. Lokales
  3. Landkreis Diepholz

Das Räuspern des Altkanzlers

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Giovanni de Lorenzo bescherte den Besuchern im Saal der Kreissparkasse einen kurzweiligen Abend – und irgendwie war auch Helmut Schmidt zugegen. ·
Giovanni de Lorenzo bescherte den Besuchern im Saal der Kreissparkasse einen kurzweiligen Abend – und irgendwie war auch Helmut Schmidt zugegen. · © Foto: Ehlers

Syke - Von Frank Jaursch. Dem Gast des Abends fehlte etwas. „Ich kann Ihnen nicht den Helmut Schmidt machen“, betonte Giovanni di Lorenzo am Montagabend vor den voll besetzten Rängen im Konzertsaal der Kreissparkasse. Machte er dann aber doch.

Ohne in Schauspielerei abzugleiten, gelang es ihm, den mittlerweile fast 94-jährigen Altkanzler ein Stück weit nach Syke zu holen – sein beredtes Schweigen, sein brummendes Räuspern, sein Mundwinkel-Lächeln.

Gemeinsam mit dem Nordwestradio hatte die Kreissparkasse wieder zur „Literatur vor Ort“ geladen – eine „lieb gewonnene Tradition“, wie KSK-Vorstand Olaf Meyer-Runnebohm als Gastgeber zum Auftakt sagte. Giovanni di Lorenzo las aus seinem Buch „Verstehen Sie das, Herr Schmidt?“ („mit Betonung auf dem ‚Sie‘“) vor, einer Sammlung von Gesprächen, die er als Chefredakteur der „Zeit“ mit seinem Mitherausgeber geführt hatte.

Die trocken-spitzfindigen Dialoge, entstanden zwischen September 2009 und August 2012, sind für den Leser ein Abbild von drei Jahren Zeitgeschichte. Di Lorenzo brachte den Zuhörern auch den Menschen Helmut Schmidt näher: „Den Mann aus der Nähe erleben zu können, erfüllt mich mir Dankbarkeit.“

Dabei seien die Gespräche mit Schmidt, der von 1974 bis 1982 Bundeskanzler war, durchaus nicht einfach. Wenn er auf eine kritische Frage mit seinem apodiktischen „Nö“ antworte, sei das für den Frager, „als laufe man gegen eine Glaswand“. „Und niemand“, schmunzelte er, „kann so nervenaufreibend schweigen wie Helmut Schmidt.“

Dabei hat er viel zu sagen. Nicht immer waren sich die Dialogpartner einig – sei es beim Thema Bundeswehr-Auslandseinsätze oder beim Atomstrom. Dennoch kennzeichnet eine entspannte Atmosphäre die Gespräche.

Di Lorenzo las zunächst das Vorwort und hatte sich aus den 20 Dialogen mit Schmidt zwei besondere herausgesucht. Darin nahm Schmidt Stellung zu seinem Nachfolger als Bundeskanzler – Helmut Kohl (di Lorenzo: „Ein Thema, über das er nicht besonders gern redet“). Er habe Kohl unterschätzt, gibt Schmidt darin freimütig zu. Er habe ihn lange als „Provinzpolitiker“ empfunden. Beinahe widerwillig räumt Schmidt seinem Kontrahenten seinen Respekt für dessen Leistungen ein – um süffisant hinzuzufügen, dass Kohl offenbar „von Wirtschaft nicht sonderlich viel verstand“.

Die zweite Episode, die er vorlas, beschäftigte sich mit der Enthüllung Schmidts, nach dem Tod seiner Ehefrau Loki mit Ruth Loah eine neue Partnerin an seiner Seite zu haben. „Es kam auch für mich total überraschend“, erinnerte sich di Lorenzo.

Viel Applaus gab es für den kurzweiligen Schlagabtausch, regelmäßig Gelächter, wenn wieder das legendäre Räuspern des Altkanzlers eine Antwort einleitete. Im anschließenden Gespräch mit Moderator Karsten Binder wurde deutlich, welches Maß an Hochachtung di Lorenzos Helmut Schmidt entgegenbringt. Noch immer nimmt der 93-jährige „Zeit“-Mitherausgeber an den Freitags-Konferenzen der Redaktion teil, mischt sich ein. „Er hat eine Meinung, er passt sich nicht dem Zeitgeist an“, sagt di Lorenzo. „Helmut Schmidt kann Dinge, die nur wenige können und die die Politiker der heutigen Zeit auf schmerzliche Weise vermissen lassen.“

Giovanni di Lorenzo hofft auf viele weitere Gespräche mit Helmut Schmidt – das nächste soll sich um die Tugendanforderungen an Spitzenpolitiker drehen und zielt natürlich auf den von Schmidt protegierten Peer Steinbrück. Es bleibt spannend.

Das Nordwestradio sendet einen Teil der Veranstaltung am Dienstag, 4. Dezember, um 15.05 Uhr.

Auch interessant

Kommentare