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Lätzchen statt Smoking

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Das Bremer Kaffeehaus-Orchester spielt auf – und das Publikum sitzt am Boden. So sollte es auch sein. Das Experiment ist geglückt, das erste Sitzkissenkonzert in der Glocke hat Musikern und Gästen offensichtlich viel Spaß gemacht.
Das Bremer Kaffeehaus-Orchester spielt auf – und das Publikum sitzt am Boden. So sollte es auch sein. Das Experiment ist geglückt, das erste Sitzkissenkonzert in der Glocke hat Musikern und Gästen offensichtlich viel Spaß gemacht. © Kattner

Bremen - Von Lars Kattner. Kissen statt Stühle, Socken statt Schuhe, Lätzchen statt Smoking – zur Premiere der Sitzkissenkonzerte in der Glocke herrschte gestern Vormittag ein ganz besonderer Dresscode.

Um jungen Eltern gemeinsam mit ihren Babys Live-Musik im Konzertsaal zu bieten, hatte die für Musikvermittlung zuständige Abteilung „Musik im Ohr“ um Projektleiterin Anna Lieb das Bremer Kaffeehaus-Orchester in den Kleinen Saal eingeladen. Und während die Musiker ihr 45-minütiges Programm zum Besten gaben, wurde im Publikum nach Kräften geklatscht, gekrabbelt, gegessen und geschrien.

Über den Sinn und Unsinn musikalischer Früherziehung ist schon viel geschrieben worden. Müßig also, diesem Kapitel weitere Ansichten hinzuzufügen. Und warum auch? Warum dürfen Mütter (natürlich auch Väter, aber die waren gestern in der Unterzahl) nicht einfach ein Konzert anschauen beziehungsweise anhören? Mit ihrem Nachwuchs auf dem Arm und ohne pädagogischen Firlefanz im Hinterkopf? Die Voraussetzungen dafür waren jedenfalls gegeben. Eine entspannte Atmosphäre, bei der alle Generationen gleichermaßen genießen können – so lautete das Versprechen der Veranstalter. Und sie hielten Wort.

Allein die Tatsache, gemeinsam auf dem Parkettboden zu sitzen, erleichterte die Logistik rund ums Kind ungemein. Nichts konnte hinunterfallen, es gab genügend Platz für das mitgebrachte Versorgungs- und Bespaßungsequipment. Das ist, je nach persönlichem Improvisationstalent, mal groß, mal größer. Ein bisschen wie in der Pekip-Gruppe – nur mit mehr Menschen und mit echter Musik. Selbst der Geräuschpegel des Publikums, das sich aus etwa 50 Erwachsenen und 50 Kindern im Alter von null bis 18 Monaten zusammensetzte, hielt sich in erstaunlich engen Grenzen. Natürlich musste hin und wieder jemand weinen (vorzugsweise die jüngeren Besucher), aber mal ehrlich: Immer noch viel angenehmer, als der von spontanem Keuchhusten befallene Sitznachbar, der einem normalerweise den Konzertbesuch verhagelt. Und die unzähligen Müsliriegel, Früchtefreunde, Reiswaffeln und Milchfläschchen, die nach spätestens zehn Minuten überfällig waren und in den vielen hungrigen Mündern verschwanden, taten der Qualität der Musik auch keinen Abbruch.

Und so durften sich die Eltern zum Beispiel über die Interpretationen des Bremer Kaffeehaus-Orchesters von „Honey Pie“ (John Lennon/Paul McCartney), Ravels Bolero oder die Petersburger Schlittenfahrt Richard Eilenbergs freuen. Und die Kinder? Freuten sich (meistens) auch: Einige drehten tatsächlich gleich zu den ersten Klängen ihre Hüften erstaunlich rhythmisch von rechts nach links und wieder zurück, andere hatten großen Spaß am Applaudieren und wieder andere waren ganz fasziniert von den Objektiven der Foto- und Filmkameras der anwesenden Journalisten oder ganz einfach: nur vom Knuddeln mit Mama.

Das Experiment der Bremer Glocke ist geglückt. Dank der Musiker, die sich auf ihr recht extravagantes Publikum hervorragend eingestellt hatten, und natürlich dank der Kinder, die ihre Eltern an einem ansonsten möglicherweise recht ereignislosen wie verregneten Vormittag in den Genuss einer Konzert-Veranstaltung gebracht haben.

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