Wie der Krieg moderne Staaten und Banken erschuf

Bremen - Von Johannes Bruggaier. Nach einigen Jahrhunderten des Lobgesangs auf die Renaissance gerät die Epoche des Übergangs aus dem dunklen Mittelalter in die helle Neuzeit zusehends unter kritischere Betrachtung.
Hat die Rückbesinnung auf die Antike, die Wiederentdeckung der Philosophie Europa tatsächlich Frieden, Freiheit und Fortschritt gebracht? Zumindest für die unmittelbar anschließenden Jahre muss man dies wohl verneinen. Zwischen 1450 und 1700 versank der Kontinent in einem blutigen Gemetzel, kaum eine Phase in seiner langen Geschichte war von so vielen verheerenden Konflikten geprägt. Wie es dazu kommen konnte, schildert der italienische Historiker Lauro Martines in seinem neuen Buch „Blutiges Zeitalter – Europa im Krieg“ (Theiss Verlag).
Es wird ein fatales Wechselverhältnis aus religiösen Bewegungen, technischem Fortschritt und politischem Machtstreben sichtbar, ein Kreislauf, dessen ursprünglicher Impuls sich nicht eindeutig ausfindig machen lässt. Das mag auch daran liegen, dass aus sachlichen Gründen schon früh Schutzbehauptungen wurden: Für machtpolitische Motive fand sich stets ein theologisches Argument und wenn es lediglich darin bestand, den Krieg pauschal als Strafe für begangene Sünden zu verkaufen. Schon bald ergab sich aus Not erneute Not, aus Krieg neuer Krieg. Armeen mit mehreren zehntausend Mann konnten einen Feldzug nur erfolgreich bestehen, wenn er durch fruchtbares Gelände führte. Plünderungen der besetzten Gebiete waren keineswegs Ausdruck einer Verrohung, sondern notwendige Bedingung für den Fortbestand der Truppe. Dass immer schwerere Waffen der Artillerie den Vormarsch verzögerten, verschlimmerte die Lage nur.
Wer etwa als Landwirt seines Hab und Guts beraubt war, dem blieb oftmals keine andere Perspektive mehr, als seinerseits zu den Waffen zu greifen: Es waren oft die Ärmsten der Armen, die sich zum Militärdienst meldeten, von Zwangsrekrutierungen ganz abgesehen.
Doch auch das Leben als Soldat war von großen Entbehrungen geprägt. Ein mit ausreichend Proviant, Versorgungsmaterial und Fachpersonal ausgestatteter Verband von 40000 Fußsoldaten und 20000 Kavalleristen hätte sich über 198 Kilometer erstreckt und wäre schlicht unfinanzierbar gewesen.
Schon die bestehenden Truppen mit ihren hungernden und plündernden Soldaten stellten ihre Regierungen vor erhebliche Finanzierungsprobleme. Die Lösung suchte man zunächst in der Erhebung von Steuern, für die wiederum der Aufbau eines Beamtenapparats notwendig war. So lässt sich die Entstehung des modernen Staates als Bedingung und Folgeerscheinung der Kriegsführung verstehen.
Dauerte die Steuererhebung – das Phänomen der Münzentwertung findet in diesem Buch leider keine Erwähnung – für die Finanzierung eines Feldzugs zu lange, so standen immer noch Banken mit Krediten bereit. Heutzutage, schreibt Martines, springe mitunter der Staat ein, um die Banken eines Landes vor der Insolvenz zu retten. Im Europa der Frühen Neuzeit dagegen sei meist das Gegenteil der Fall gewesen: „Hier bewahrten immer wieder die Bankiers den Staat vor dem Bankrott.“ Das politische wie fiskalische System des heutigen Europas, es findet in diesen Zusammenhängen seinen Ursprung.
In schockierender Detailtreue erzählt Martines, was diese wechselseitigen Bedingungen für die Lebenswirklichkeit bedeutete. Krieg gehörte zum Alltag, und seine Erscheinungsformen waren so vielfältig wie brutal. Neben der totalen Zerstörung, wie sie etwa von Magdeburg bekannt ist, gab es zahlreiche Beispiele von ausgehungerten Städten. In Sancerre, wo die Hugenotten versuchten, der Belagerung von kaiserlichen Truppen Stand zu halten, kam es zu schaurigen Exzessen. Nachdem den das letzte Tier geschlachtet und sogar seine Haut zu Frikassee bearbeitet worden war, ernährten sich die Menschen von Kerzenfett, Stroh und Pferdemist. Als man ein Elternpaar beim Verspeisen seiner eigenen Tochter ertappte, gab es drakonische Strafen. Die Mutter wurde erwürgt, der Vater lebendig verbrannt. Ein Zeitzeuge wirbt bei seinen Lesern um Verständnis: Man habe befürchten müssen, dass es zu Nachahmungseffekten kommt.
Mit solch erschütternden Beispielen aus kaum bekannten Episoden der europäischen Geschichte gelingt Martines eine eindrucksvolle Collage des vom Krieg gezeichneten Kontinents. Es ist ein lehrreiches Buch über die dunklen Seiten der Renaissance geworden – dessen einziges Ärgernis in einem hohen Aufkommen von Druckfehlern besteht.
Lauro Martines: „Blutiges Zeitalter – Europa im Krieg 1450-1700“, übers. v. Cornelius Hartz, Theiss Verlag: Darmstadt 2015; 336 Seiten; 29,95 Euro.